24.12.2001 * (FJH)
Zum Mittag gab es Kartoffelsalat mit Würstchen. Anschließend verschwand die ganze Familie nacheinander in der Badewanne. Unsere Sonntagsklamotten zogen wir an und waren auch schon in gespannter Feiertagsstimmung. So warteten wir im Eßzimmer am Heiligabend immer brav auf die Bescherung.
"Wenn das Christkind dreimal klingelt, dann dürft Ihr ins Wohnzimmer", erklärte unsere Mutter. Sttarkt stieg die Spannung, bis es gegen 17 Uhr schließlich so weit war: Dreimal ertönte das helle Klingeln des Glöckchens.
Unsere Mutter ermahnte uns noch zu Anstand, dann schritten wir feierlichen Schritts durch den Flur zur Wohnzimmertür.
Mein Vater
stand immer schon als erster davor. Er öffnete die Tür und ging hinein ins Wohnzimmer, wo sich die Kinderschar in einer Reihe vor dem Tannenbaum aufbaute. Währenddessen ertönte "Oh, Du fröhliche!"
Wir sangen dieses Lied und noch ein paar andere, sagten Weihnachtsgedichte auf und warteten geduldig, bis meine Mutter die weiße Tischdecke vom Wohnzimmertisch herunterzog. Darunter kam der Gabentisch hervor, auf dem jedes Kind ein Schild mit seinem Namen und daneben seine Geschenke fand.
Hemden, Socken, Schuhe, Süßigkeiten und Spielzeug lagen da, von denen die Spielsachen natürlich unsere größte Aufmerksamkeit fanden. Für jeden gab es aber immer nur ein oder höchstens zwei Spielzeuge.
Nachdem jeder seine Weihnachtsgeschenke kurz angeschaut hatte, begann der Reigen der Geschwister, die sich nun gegenseitig Geschenke überreichten. Dazu kam ein lieber Weihnachtswunsch, eine kurze Umarmung oder ein fester Händedruck.
Am späten Abend, wenn wir uns bereits einige Dominosteine, Marzipanbrote oder -herzen in den Mund gestopft hatten und richtig satt waren, ging mein Vater in die Christmette. Die jüngeren Kinder begleiteten ihn dorthin.
Danach kam es dann regelmäßig zum Streit zwischen meinen Eltern, der uns Kinder immer sehr traurig stimmte. Sie sagten doch selbst immer, Weihnachten sei das Fest der Liebe!
Trotzdem möchte ich diese Kindheitserinnerung nicht missen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte noch einmal Weihnachten feiern wie damals. Aber die Kindertage sind vorbei, meinVater ist tot und Weihnachten ist auch nicht mehr, was es einmal war. Nur schön, dass man sich noch an die guten alten Zeiten erinnern kann!
23.12.2001 * (FJH)
"Hört Ihr Herrn und lasst Euch sagen: Unsre Uhr hat Zwölf geschlagen!" Die brummige Stimme des Nachtwächters ist laut udn zittert ein wenig vor Aufregung. Der Knabe , der auf der Bühne den alten Nachtwächter mimt, ist ungefähr 14 Jahre alt.
Dieses Krippenspiel ist nun schon viele Jahre her; und der jugendliche Darsteller darin war ich. Aber ich erinnere mich noch ganz genau, wie ich Blut und Wasser geschwitzt habe wegen meiner Mitspielerin. Die ältere Frau hatte die Rolle eines Fischweibs übernommen, teilte aber nicht meinen Enthusiasmus für das Krippenspiel. Ihre Rolle jedenfalls hatte sie nicht auswendig gelernt. Das war umso misslicher, als der Text aus lauter Reimen bestand.
Die Frau des Vorsitzenden jenes Vertriebenenvereins, dessen Vorstand auch
mein Vater
angehörte, hatte die Texte liebevoll zusammengereimt. Sie hatte auch ein paar Kinder zusammengetrommelt, die die Rollen in dem weihnachtlichen Heimatstück übernahmen. Nur für das Fischweib hatte sie kein geeignetes Kind gefunden; so übernahm eine Frau aus dem vorstand die rolle.
Über den Fischmarkt der Heimatstadt meines Vaters, der Freien und Hansestadt Danzig schlurfte ich nun mit meiner Laterne und begann den Dialog mit dem Fischweib. Sie wusste zwar den Inhalt ihres Textes, nicht aber die genauen Worte. Ich hingegen kannte meinen Text haargenau.
Nun reimte sich das, was die Frau des Vorsitzenden liebevoll ausgetüftel hatte, wegen der Nachlässigkeit meiner Mitspielerin nicht mehr. Ich versuchte in meinem jugendlichen Elan, das Krippenspiel zu retten und formulierte meinen Text so um, dass er sich auf die improvisierten Äußerungen des Fischweibs wieder reimte. Blut und Wasser habe ich dabei geschwitzt, aber weitgehend ist es mir gelungen, das Stück wieder in Reimform zurückzubiegen.
Am Ende hat kaum jemand etwas gemerkt außer der Frau des Vorsitzenden. Wir bekamen alle ordentlichen Applaus und eine große Tüte voller Weihnachtsleckereien. Und ich musste noch einmal den Gesang des Nachtwächters wiederholen: "Zwölf, das ist das Ziel der Zeit. Herr, bedenk die Ewigkeit!"
09.12.2001 * (FJH)
"Nun habe ich doch einen kleinen Brotbaum in meinem Dichterherzen", freute sich Hans-Christian Andersen. 1837 stattete sein König den - damals 33-jährigen - dänischen Dichter mit einem lebenslangen Stipendium aus. Dieser finanziellen Unterstützung verdankt die Welt viele der wunderbaren Märchen, von denen Charlotte von Sachsen am Sonntagmorgen (9. Dezember) eines zum Besten gab.
Ganz im Zeichen der
Adventszeit
stand die erste Konzertmatinée im Marburger Haus der Romantik am historischen Marktplatz. Unter dem Titel "Fagott und Poesie" spielten Heike Sonneborn und Kristina Guhl Stücke von Eugene Jeancourt, Christoph Ernst Friedrich Weise, Julius Weisenfeld und Felix Mendelsohn-Bartholdy. Dazwischen las die Schauspielerin Charlotte von Sachsen Texte von Eduard Möricke, Hans-Christian Andersen, Bettina von Brentano und Josef Freiherr von Eichendorff.
"Wachsen, groß und alt werden" möchte in Andersens Märchen "Der Tannenbaum". Im Wald wird es ihm langweilig. Als Mast eines Segelschiffs möchte er über das Meer reisen oder in einer schönen Stube aufgestellt und wunderbar geschmückt werden. Mit Hingabe las Charlotte von Sachsen die Geschichte des immer unzufriedenen Tannenbaums. Mit ihrer gefühlvollen Intonation begeisterte die Schauspilerin aus dem Ensemble des
Hessischen Landestheaters
das zahlreich erschienene Publikum.
"Wachsen, groß und alt werden" möchte auch der
neue Verein
"Marburger Haus der Romantik". Zu Beginn der Matinée bat Dr. Rosemarie Dilg-Frank um Spenden für Stühle, da man die Sitzgelegenheiten für die vormittägliche Veranstaltung noch im nahegelegenen Rathaus hatte ausleihen müssen. Zum Ende der Matinée waren nicht nur das Geld für drei Stühle zusammengeekommen, sondern auch noch 1.000 DM für ein Schild an der Fassade des alten Fachwerkhauses am Markt 16.
06.12.2001 * (FJH)
"Morgen, Kinder, wirdïs was geben", spielt die Blaskappelle und "Heute ist Nikolaus Abend da!" Die Musiker haben sich unter ein Dach gestellt, damit der regen nicht in ihre Instrumente hineinfließt.
Zu den
Fotos!
Auf dem Weihnachtsmart an der Elisabethkirche herrscht am Vorabend des Nikolaustags (6. Dezember) nur mäßiges Treiben. Nur an einer Bude gibt es Gedränge. Selbst ein Blinder kann am Lärm erkennen, wo der Glühweinstand ist.
Ein ppar Stände weiter bietet eine Verkäuferin Steine an. Doch bei dem Regen, der immer stärker vom Himmel herunterprasselt, dringt kaum ein Kunde zu ihren Auslagen vor.
Auch nebenan herrscht wetterbedingte Flaute. Hier kann man kleine Plüschtiere erstehen. Ein streichelweiches Schäfchen möchte gern mit, aber wie soll man bei einem solchen Guss sein Schäfchen ins Trockene bringen?
Ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben
Taschendiebe
schon am Wochenende im Gedränge auf den beiden Marburger Weihnachtsmärkten. So bleibt die Geldbörse an diesem Abend tief verstaut in der Tasche. Aber Gefahr bestünde ohnehin nur am Glühweinstand, wo sich die Besucher auch jetzt drängen.
Durch den pladdernden Regen geht der Weg heim. Nirgendwo lässt sich Nikolaus blicken. Auch der möchte wohl nicht gern nass werden.
Daheim im Trockenen hört sich das Trommeln der Tropfen gegen die Scheiben fast gemütlich an. Eine heiße Schokolade tut fast genauso gut wie Glühwein. Und dann will da ja auch noch das
Türchen des Adventskalenders
geöffnet werden!
02.12.2001 * (sfb)
Er war ein Fürst, engster Freund von Wilhelm II. und homosexuell. Grund genug für eine abendfüllende Rezitation am Samstag (2. Dezember) im Philippshaus. Das Benefiz-Konzert "Die Rosenlieder des Fürsten zu Eulenburg" entstand auf Initiative der
Aids-Hilfe Marburg.
An der Seite von Kapitain Blaubär - aus Plüsch - besorgte Rechtsanwalt und Notar Bernd Aretz dem Publikum weitere Infos zu dem 1923 Verstorbenen. Bevor er starb, führte der Fürst ein vielseitiges, wenn auch skandalgeschütteltes Leben. Er war, so war zu hören, ein promovierter Jurist, Literat, Dramatiker, Künstler und Komponist. Nicht zuletzt war er Staatsdiener am Hofe Kaiser Wilhelms. Sogar Reichskanzler hätte er um Haaresbreite werden können.
Als Mann in höchsten Regierungskreisen kutschierte er viel durch deutsche Lande. Amüsiert haben Berichte, worin er schildert, was er zu Gast bei Hofe und bei anderen Empfängen erleben musste. Mit distanzierter Ironie beschreibt er eine abgedrehte Jagdgesellschaft an einem schwäbischen Hof des Wilhelm von Württemberg. Ein Jagdassesor habe wie ein Braten geschwitzt und die Kleidung der Herrschaften sei so bunt wie die Federn eines Pagageien. Dann war Eulenburg noch bei Bismarcks zu Hause, wo die Inneneinrichtung von einer beispiellosen Geschmacklosigkeit zeugte.
In dem Vortrag wechselte Amüsantes mit Traurigem. Trotz seiner unbestreitbaren Begabungen und unverzichtbaren Dienste für "Volk und Vaterland" wurde Eulenburg im Mai 1907 aus den Staatsdiensten entlassen. Paragraph 175 des Strafgesetzbuches machte es möglich, der erst Anfang der 70ger Jahre abgeschafft wurde. Die Diffamierungen eines Maximilian Harder, Herausgebers der Zeitschrift "Zukunft", haben bittere Früchte getragen.
Dass die skandalumwitterte Homosexualität Eulenburgs viel Futter lieferte für damalige Kleinkunstbühnen, leitete zu einer Darbietung von Alexander Brodt (Gesang) und Klaus Stehling (Klavier) über. Sie rezitierten ein couplet von Ernst Reuter mit dem Titel: "O Schreck, der Hirschfeld kommt um die Eck." Baron von Hirschfeld suchte derzeit die Homosexualität Eulenburgs zu beweisen. Das Lied karikiert diese Bemühungen, die hinter jeder noch so banalen Alltäglichkeit die staatszersetzende Homosexualität wittert. Wenn ein früherer Freund ein Taschentuch reicht, reicht das als Beweis aus.
Sebastian Stransky löste für einen Moment Aretz ab und las das Märchen "Die Tanne" von Eulenburg. In ihm gemahnt der Sturm eine hochwachsene Tanne immer wieder zur Bescheidenheit. Am Ende bricht er sie küssend entzwei. Der Todeskampf entlockt der im Leben so unzufriedenen Tanne wunderschöne Töne. Dies ist natürlich Anlaß für die beiden Virtuosen, ein Lied über den Tod als Befreier anzustimmen. Schön, dass Gevatter Hein da seine Schrecken verliert! Die Reaktion des Publikums auf seinen stimmungsvoll gelesenen Text gibt Kurt Tucholsky recht, der Eulenberg hohe literarische Qualitäten zuschreibt, während er ihn als Politiker nicht besonders schätzt. Im fortgesetzten Wechsel zwischen Lesung und musikalischer Darbietung folgten die Rosenlieder, mit denen Eulenburg seine lyrischen Qualitäten unter Beweis stellte. Von Tucholsky gelobt, erinnern sie spontan an Heinrich Heine. Ironische Untertöne, Tief - und Feinsinniges machte die voluminöse Stimme des Sängers hörbar- , wenn beispielsweise von der Lieb die Rede ist, die doch ohne Dornen wär. Dann kündet ein weiteres Lied von einem Appell an die rankende Rosen, doch bitte das Mädel nicht aufzuwecken." In Freudschaft zugeeignet sind diese Verse der Gräfin von Dallenberg. "Keep smiling" heiát das Schlußlied, das die Künstler zum Abschied intonierten. Es soll an die Kinder- und Kindeskinder Eulenburgs erinnern, deren Zukunft durch Hirschfeld und Konsorten ruiniert wurde. "Zeig der Welt nicht Dein Herz, sie versteht nicht Deinen Schmerz."
01.12.2001 * (FJH)
Normalerweise leben sie am Rand der Gesellschaft, in Marburg standen sie jetzt eine Woche lang im Mittelpunkt. Mehr noch: Die Bühne gehörte den Behinderten beim Europäischen Integrativen Tanz- Und Theaterfestival, das am Samstag (1. Dezember) mit einem Marburg-Tag in der
Waggonhalle
zu Ende ging.
"Es war überwältigend schön", resümierte Veranstalterin Jutta Schuberth vom
EUCREA
e.V. in Hamburg, "und fast immer vor ausverkauften Häusern!"
Auch am letzten Tag hielt diese Erfolgsserie an, obwohl nicht - wie an den
Vortagen
- die
Elite der europäischen Behindertenkultur
angekündigt war. Doch schon die Theatergruppe der AG Freizeit für Behinderte und Nichtbehinderte begann den Veranstaltungsreigen der örtlichen Theater- und Musikgruppen vor gut gefüllten Rängen. Ihr kindgerecht vorgebrachtes Märchen über die Befreiung eines Gin aus der Flasche begleitete das - überwiegend behinderte - Publikum mit Zurufen, Beifalls- oder Missfallenskundgebungen und eindeutiger Parteinahme für die behinderten Mitspielerinnen. Es war ihr Publikum.
Mit großer Spielfreude setzten alle Mitspieler ihre Rollen glaubwürdig um, reagierten dabei mitunter aber auch auf Zurufe aus dem Publikum. Der steinalte Greis, der den Gin vor 100 Jahren auf Geheiß einer herrschsüchtigen Königin in die Flasche einsperren musste, ließ seine Stimme zittern und zagen. Behutsam führte er die Zuschauer durch die Handlung, die natürlich mit der Befreiung des geistig behinderten Gin endete. Notwendig war dafür aber ein hochfliegender Traum, ein schönes Seidentuch und eine Portion Mut.
Zu den
Fotos!
Erst im Frühjahr gegründet hat sich die Theatergruppe des Kerstin-Heims. Ihr Stück "Auf hoher See" setzte die Schwierigkeiten des stolzen Kapitäns und seiner kämpferischen Crew bildlich um. Da wurde ein Bettlaken als Segel gegen den Wind gehalten oder die Besatzung torkelte in schlingernden Kurven über die Bühne. Bei alledem strahlten die Beteiligten so viel Begeisterung aus, das der Funke auf das Publikum übersprang.
Frenetischen Applaus ernteten auch Dr. Enzians Traumwandler, die Theatergruppe der Bürgerinitiative für Sozialpsychiatrie.
Tempus fugit. Das ist nicht nur der Titel des Stücks von "NullOptik", der Theatergruppe der Carl-Strehl-Schule, sondern auch eine unabweisbare Wahrheit. So begann die Aufführung der Schülerinnen und Schüler der Deutschen Blindenstudienanstalt - passend zum Thema- mit halbstündiger Verspätung. Im Mittelpunkt der Inszenierung stand die Frage nach der Zeit und dem Umgang mit ihr. Was uns alle am nachhaltigsten beeinflusst, davon verstehen wir am wenigsten. Kaum ein Wissenschaftler kann erklären, was die Zeit ist. Die blinden Akteure zeigten auf eindrucksvolle Weise, wie die Uhr das Leben einengt und wir alle vor uns selbst davonlaufen: "Auf der Suche nach dem Sinn haben die Menschen sich selbst aus den Augen verloren."
Nach dem Programm für Augen und Kopf endete der Marburg-Tag mit rhythmischen Klängen: Die Musikgruppen Bernieïs Presslufthammer Show sowie Katrin & die Quietschboys brachten das Publikum in Bewegung. Rockig und heiter war der Genuss für Ohren und Beine.
So stimmte beim EUCREA-Festival am Ende nicht nur die Stimmung, sondern auch die Kasse. Viele Kunstinteressierte, aber auch viele Behinderte, hatten zu den Veranstaltungen gefunden. Sichtlich zufrieden deutete Bürgermeister
Egon Vaupel
am Abend die Möglichkeit an, das Festival in zwei Jahren in Marburg zu wiederholen. Schließlich ging diesmal die Zeit seit
Eröffnung des Festivals
am Sonntag (25. November) viel zu schnell vorbei!
01.12.2001 * (sfb)
Was ist, wenn mensch sich nicht mehr erkennt? Das Stück"Zerbrochene Spiegel" vom Theater Tataar aus Belgien zeigte unter der Regie von Tom Baro, was das heißt. Acht geistig behinderte Frauen lieferten am Freitagabend (30. November) in der
Waggonhalle
eine stimmungsvolle performance mit viel Musik.
Minuten vor Spielbeginn saßen die Zuschauer auf ihren Plätzen, über denen ein seltsam klingendes Gebrumm hing. Auf der Bühne machte ein schlichtes, aber ausdruckstarkes Ambiente aufmerksam. Das wartende Publikum sollte sich damit wohl auf das Stück einstellen. Ein weißer Flockenteppich auf dunklem Grund hatte etwas Leichtes und Trauriges zugleich.
In der Tat: Eine leichte Melancholie durchzog das Stück wie ein roter Faden, der je nach Szene aber auch eine andere Farbe annahm. Stille Verzweiflung war zu spüren, wenn eine Darstellerin ihren Mantel an und auszog, um ihn dann über den Arm zu hängen. Diese stereotype Bewegungsabfolge wiederholte sich den ganzen Abend über. Gesprochen wurde nicht viel, sprachen doch die Gesten eine beredte Sprache. Die meditativen Musikeinlagen taten ihr Übriges.
Klar wurde: Die acht behinderten Akteurinnen spielten ihre eigene Situation in der Gesellschaft. "Das Kind hat keinen Verstand" ..."das ist triste" oder "die Leute gaffen mich an" , lauteten die wenigen Sätze einer Frau, die ihre Klage immer wieder ins Publikum schrie .
Auch die nonverbalen Botschaften waren eindeutig, wenngleich einige Verständnishürden im Stück nicht immer leicht zu nehmen waren. Die Schauspielerinnen sprachen das für hiesige Ohren ungewohnte Flämisch. Damit nicht genug: Symbolträchtige Szenen, scheinbar willkürlich aneinandergereiht, stellten hohe Anforderungen an das Publikum.
Die Antwort auf die Frage, was wohl das variationsreiche Spiel einer Darstellerin mit einem Vogelkäfig bedeuten mag, war noch eine der leichteren Übungen. Eindeutig war der Gestus der Mantel an- und ausziehenden Frau, wenn sie ihre Tätigkeit unterbrach. Sie beobachtete dann eine andere Szene mit umherstreifendem Blick ins Publikum. Und jedesmal fiel ihr dabei die Kinnlade herunter, woraufhin sie sich ekelerregt abwandte. Hielt sie dem Publikum etwa "Zerbrochene Spiegel" vor?
Als sich am Ende eine langanhaltende Dunkelheit auf der Bühne lichtete, flossen Tränen. Diese und die kindliche Offenheit der Schauspielerinnen haben berührt. Das EUCREA-Festival endet am Samstag (1. Dezember) mit einem Marburgtag. "Zerbrochene Spiegel" war das letzte Gastspiel, sicher kein Schlußlicht - ein highlight!
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30.11.2001 *
Dorfbuch: Otto-Ubbelohde-Preis ehrt Engagement für die Heimat
©
31.12.2001 by