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21.06.2001 * (sfb)
"Es mussten erst 50 Jahre ins Land ziehen, bis dieses längst überfällige Buch auf den Markt kam." Das Buch mit dem Titel "Vernichten und Heilen. Der Nürnberger Ärzteprozess und seine Folgen" wurde am Mittwochabend (20. Juni) im
Kulturladen KFZ
präsentiert. Dorthin sind die Herausgeberin Angelika Ebbinghaus, Mitarbeiterin der Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, und der Autor Thomas Werther einer Einladung der Marburger Geschichtswerkstatt gefolgt.
Auf einem Gesundheitstag zu Beginn der 80er Jahre kam die Idee: Die dort besprochenen Themen zu Euthanasie und dem NS-Ärzteprozess von 1947/48 regten dazu an, die wissenschaftliche Forschung voranzutreiben. Über eine breit angelegte Spendenkampagne wurde ein Forschungsprojekt finanziert, in dem umfangreiches Quellenmaterial des NS-Ärzteprozesses zusammengestellt und ausgewertet wurde.
Juristische Grundlagen, wissenschaftliche Publikationen sowie Kurzbiographien der in Nürnberg angeklagten Ärzte ergänzen das 30. 000 Seiten starke Quellendokument. Hinzu kommt, dass die Forscher die Vorgeschichte und die Hintergründe des Ärzteprozesses als historisches Phänomen rekonstruieren. Dieses Werk, das neue Sichtweisen für die Forschung erschließt, durchzieht zwei Stränge. Die Aussagen der Opfer sowie die wissenschaftlichen Untersuchungsberichte der Angeklagten werden einander gegenübergestellt.
Die Protokolle des Nürnberger Ärtzeprozesses geben Aufschluß über die medizinische Forschung, die den deutschen Soldaten im zweiten Weltkrieg zugute kommen sollte. Damit die Jagdbomber höher und schneller fliegen konnten, wurden Höhenversuche im Bereich der Luftfahrtmedizin durchgeführt. Nicht minder grausame Kälteversuche, die in den meisten Fällen mit dem Tod unzähliger Menschen endeten, waren gedacht für die in den Ärmelkanal abgestürzten Flieger.
Ebenfalls zu Kriegszwecken wurde die Fleckfieberforschung betrieben. Im Krieg sind mehr Menschen durch Fleckfieber zu Tode gekommen als infolge von Kampfhandlungen. Das tödliche Fleckfieber wird durch Läusekot übertragen. Nach anfänglichen Entlausungen bis hin zur Ghettoisierung von Juden und Polen, ging man dazu über, an sogenanntem "Menschenmaterial" zu forschen. Hauptsächlich KZ- Häftlinge in Buchenwald und Natzweiler mußten dafür herhalten.
Neben namhaften Eliteinstituten wie das Robert-Koch-Institut waren auch die hiesigen Behringwerke bzw. IG-Farben maßgeblich an der Forschung und Herstellung von Impfstoffen gegen das Fleckfieber beteiligt. Die Behring-Werke, die über angeblich gute Kontakte und die besten Methoden verfügten, haben weit über 1000 Zwangsarbeiter beschäftigt. Das ökonomische Interesse hat neben den "völkischen" und kriegerischen Interessen eine große Rolle gespielt.
Wie ließen - in vielen Fällen - fürsorgliche Ärzte sowie ein riesiges Heer an Wissenschaftlern sich zu solchen kriminellen Menschenversuchen hinreißen ? Warum haben sie die Opfer, Menschen polnischer, russischer Herkunft sowie jüdischen Glaubens auf den Status von Insekten herabgesetzt?
Die Sprache, die diese medizinischen Untersuchungsergebnisse der Angeklagten dokumentieren, geben Aufschluß. Distanziert und sachlich formuliert sowie "im Dienst an der guten Sache" wird das Leid der Opfer verdrängt. Hinzu kam, dass eine auf völkischem und deutschnationalem Menschenbild errichtete Ideologie dieses Tun rechtfertigte und verharmloste.
Die Frage drängt sich auf: Welche Einstellungen zum menschlichen Leben liegen der aktuellen Debatte um die Gentechnik zugrunde?
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20.06.2001 * (FJH)
Gar nicht grün sind Marburgs Grüne ihrer Stadträtin Ulrike Kober. Am späten Dienstagabend (19. Juni) beschloss die Mitgliederversammlung des Stadtverbands der Grünen Marburg mit 28 von 46 Stimmen, die von der Öko-Partei vor vier Jahren ins Rathaus entsandte Stadrätin abzuwählen. Ihre Nachfolge soll der Stadtverordnete Franz Kahle übernehmen.
Der Sozial- und Umweltdezernentin wirft die Stadfraktion "fehlende Führungsqualitäten", eine "mangelnde Kooperationsbereitschaft", die "Unfähigkeit, Grüne Ideen umzusetzen" und eine "zu geringe Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem Oberbürgermeister" vor. Deswegen möchte die Fraktion einen Abwahlantrag zur Parlamentssitzung am 24. August einbringen. Bei der darauffolgenden Sitzung im September könnte die Abwahl dann endgültig erfolgen.
Die SPD, deren Fraktionsvorsitzender Norbert Schüren - ebenso wie Grüne Stadtverordnete - persönliche Probleme mit der Stadträtin hat, will dem Antrag zustimmen. Die CDU spricht hingegen von einem "Machtkampf" innerhalb der Grünen, der auf dem Rücken der Steuerzahler ausgetragen werde.
Ihr monatliches Gehalt von rund 12.000 DM würde Kober nach einer Abwahl drei Monate lang voll und dann bis zum Ende ihrer eigentlichen Wahlperiode weitere zwei Jahre lang zu 75% beziehen. Eine Pension von rund 4.000 DM ist ihr darüber hinaus bis zum Lebensende sicher. Diese Kosten müßten im Falle einer Abwahl aus der Stadtkasse beglichen werden.
Dennoch haben sich die Grünen mehrheitlich gegen Kober und für Franz Kahle entschieden. Der promovierte Jurist ist Richter am Amtsgericht und müsste im Falle seiner Wahl auf das Richteramt verzichten. Dazu erklärte sich Kahle, der bei den Grünen eine breite Unterstützung genießt, auf der Mitgliederversammlung am Dienstagabend bereit.
19.06.2001 * (FJH)
Mit einem Warnstreik protestierten Marburgs Busfahrerinnen und Busfahrer am Dienstagmorgen (19. Juni) gegen Sozial-Dumping im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Von Betriebsbeginn um 4.15 Uhr bis gegen 7 Uhr blieben alle Busse der
Stadtwerke Marburg
(SWM) im Depot. Aufgerufen zu diesem Warnstreik hatte die
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
(ver.di). Sie fordert die Verabschiedung eines Vergabegesetzes, das das Land
Nordrhein-Westfalen
(NRW) in den Bundesrat eingebracht hat. Am Freitag wird die Länderkammer über diese Initiative entscheiden.
Grund zur Besorgnis bei Personal und Trägern des ÖPNV gibt eine Richtlinie der Europäischen Union, die künftig eine europaweite Ausschreibung von Leistungen im ÖPNV verlangt. Beschäftigte und kommunale Eigentümer der
deutschen Verkehrsbetriebe
fürchten damit eine Billig-Konkurrenz, die an technischen und sozialen Standards spart. Das Vergabegesetz soll nun festlegen, dass die Einhaltung bundesdeutscher Tarifverträge Voraussetzung für eine Übernahme öffentlicher Aufträge wird.
Der Marburger Stadtbusverkehr steht für das Jahr 2006 zur Ausschreibung an. Ende vergangenen Jahres wurde der städtische Verkehrsbetrieb in eine privatwirtschaftliche GmbH überführt. Die Buslinien "C" und 16 bedienen seit dem Frühjahr Beschäftigte der "Marbus GmbH" in Bussen der SWM. Marbus ist eine gemeinsame Tochterfirma der SWM und des Marburger Busunternehmers Dolfen. Sie zahlt geringere Löhne als die SWM.
Auch in anderen Regionen Deutschlands ist die Übernahme von Verkehrsleistungen durch private Unternehmen groß im Schwunge. Besonders aktiv hierbei ist die in Frankfurt ansässige Deutsche Eisenbahn-Gesellschaft (DEG), die seit Anfang vorigen Jahres zur weltweit operierenden
Connex-Gruppe
des französischen Mischkonzerns "Vivendi" gehört. Das Connex-Tochterunternehmen "Alpina" betreibt auch Buslinien im Raum Gießen. Konkurrenzfähig sind die privaten Busunternehmen gegenüber der kommunalen Verkehrswirtschaft vor allem durch geringere Löne. Deswegen fürchten die Beschäftigten der Öffentlichen Verkehrsbetriebe um ihre soziale Sicherheit.
12.06.2001 * (FJH)
Am Montag (11. Juni) hatten sich Vertreter von CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Freien Bürgern auf einen Koalitionsvertrag für den
Landkreis Marburg-Biedenkopf
geeinigt. Schon am Dienstagabend segneten die Gremien der vier Kreistagslisten die Vereinbarung ab. Während die anderen Parteien ihre Beschlüsse einstimmig fassten, gab es innerhalb der Grünen starke Widerstände gegen diese erste schwarz-grüne Kreis-Koalition Hessens. Am Montag hatte die SPD noch einmal versucht, die Grünen zu einem rot-grünen Bündnis im Kreis zu bewegen. Dennoch stellte sich die Mehrheit der Öko-Partei hinter ihre Verhandlungsführer. So kann Landrat
Robert Fischbach
(CDU) im Kreishaus den Vertrag wie geplant am Donnerstag (14. Juni) gemeinsam mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden der beteiligten Partner unterzeichnen.
05.06.2001 * (sfb)
Sie stehen nicht nur hinter ihren Transparenten, sondern auch hinter ihren Überzeugungen gegen "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Unter diesem Motto initiiert der "Arbeitskreis Frieden der evangelischen Kirchengemeinde Cappel" am Samstag ( 8. Juni) um 11 Uhr eine Mahnwache auf der Augustinertreppe. In Kooperation mit dem Marburger "Bündnis gegen Rechts" ist eine Demonstration mit afrikanischen Rhythmen der Trommlergruppe "Kimba-Djembe-Orchestra" sowie einer Rezitation der Künstlerin Hanne Klöpfer vorgesehen. Der Weg führt zum Marktplatz, auf dem um 12 Uhr eine Kundgebung stattfindet. Anläßlich des ordentlichen Burschentages vom 8. bis 10. Juni in Eisenach hält Stefan Peters, Mitarbeiter des Projekts "Konservatismus und Wissenschaft" einen Rede zur "Geschichte des Deutschen Burschentages in Eisenach". Laut Peters sind die Burschenschaften aufgrund ihrer völkischen und deutschnationalen Gesinnung die ideologischen Wegbereiter der rechten Gewalt.
Die Kundgebung sei, so DGB- Kreisvorsitzender Rüdiger Stolzenberg, von sekundärer Bedeutung. In erster Linie soll Solidarität mit den christlichen Kolleginnen und Kollegen der Mahnwache bekundet werden. Die Erfahrung habe gezeigt, dass sich viele Gruppen dieser Initiative anschließen. Ein breiter Konsens bewirke mehr Öffentlichkeit.
"Solidarität statt dumpfe Herdenmentalität" stand auch auf den Transparenten früherer Mahnwachen. Ziel der christlich motivierten Teilnehmer ist es, ein Zeichen gegen die zunehmenden Ausschreitungen gegen Ausländer und gesellschaftliche Randgruppen zu setzen. Diese seit dem 2. Dezember 2000 wöchentlich abgehaltenen Mahnwachen haben sich aus dem alljährlichen Gedenkgottesdiensten anläßlich der Reichspogromnacht herauskristallisiert. Die Kirche habe zur NS-Zeit in diesem Punkt versagt.
Eleonore Kaufmann, ein hochbetagtes Mitglied der Friedensinitiative, hat die NS-Zeit bewußt miterlebt: "wir können es uns nicht leisten, gleichgültig zu sein."
In der Öffentlichkeit "Gesicht zeigen" hat nicht nur für die Betreffenden eine positive Wirkung. Passanten werden in ähnlichen Ansichten bestärkt. Nicht zuletzt stärken derartige Aktionen ausländischen Mitbürgerinnen und Bürgern den Rücken.
Die Mahnwache findet am Samstag ihren vorläufigen Abschluß, um im August nach den Sommerferien an gleichem Ort fortgesetzt zu werden.
01.06.2001 * (sap)
Auch im zweiten Anlauf hat es die Vertretung der Marburger Studierenden am Donnerstag (31. Mai) nicht geschafft, ein arbeitsfähiges Parlament zu konstituieren. Im Sommersemester 2001 sollte sich das Parlament unter neuen Mehrheitsverhältnissen konstituieren, was bislang in beiden Sitzungen scheiterte.
Dafür hätten ein neues Präsidium, ein Vorstand des
Allgemeinen STudierendenausschusses
(AStA) sowie einige Ausschüsse gewählt werden müssen.
In der ersten konstituierenden Sitzung am 24. April gab es für das Präsidium keine Wahlvorschläge.
In der Sitzung vom 31. Mai wurde Jan Nihuis von der - zu den
Wahlen im Dezember 200
neu angetretenen - "Bruderschaft des Bösen" zur Wahl aufgestellt. Auf ihn entfielen jedoch lediglich sieben der 34 Stimmen.
"Ich habe mich zur Wahl aufstellen lassen, damit es endlich ein Präsidium gibt", erklärte Nihuis. Er halt sich für politisch unbelastet und hatte somit gehofft, eine Mehrheit für sich zu gewinnen.
Grund für die mißlungene Präsidiumswahl sind die verhärteten Fronten bei der Bildung einer AStA-Koalition: Der noch amtierende AStA setzt sich aus der SPD-nahen Juso-Hochschulgruppe, der Grünen-Hochschulgruppe, der Rosa-Liste und der "Aufbruch in den AStA" (A.I.D.A.) zusammen, nachdem die Liberale Hochschulgruppe den AStA im Herbst letzten Jahres verlassen hatte.
Die Juso-Hochschulgruppe ist mit 6 Sitzen im Studierendenparlament nach wie vor stärkste Kraft. Auch in diesem Jahr wollen die GRÜNEN und die ROSA Liste mit den Jungsozialisten einen AStA bilden.
Zusammen haben diese drei Gruppen 12 der 21 Sitze, die für eine Koalitionsmehrheit benötigt werden.
Mit den konservativeren CDU-nahen "Ring Christlich Demokratischer Studenten" (RCDS), den "Heteros" und "Netzwerk" schließen die Jusos eine gemeinsame Koalition aus. Mit den zu einem Fachschaftsblock zusammengeschlossenen Fachschaftsgruppen konnte keine Einigung erzielt werden. Die Fachschaftsgruppe A.i.d.A. sah sich in den Koalitionsverhandlungen politisch so an den Rand gedrängt, dass sie auf Nachfrage der PDS-Hochschulgruppe im Studierendenparlament das Gerücht bestätigte, sie würde zum 1. Juni den noch amtierenden Rest-AStA verlassen. Um die nötige Mehrheit zu gewinnen, mussten die Jusos mit einem Bündnis linker Gruppen koalieren.
Dieses Bündnis stellt zusammen 12 Sitze. Doch sowohl die Jusos als auch die Grünen haben Vorbehalte gegen Gruppen in diesem Bündnis. Ein Versuch, die vom amtierenden Asta favorisierten Gruppen PDS-Hochschulgruppe, Sozialistisch-ökologische Hochschulgruppe (SHG), Demokratische Hochschulgruppe (DHG) und die Feministische FrauenLesben Liste (FFLL) aus dem linken Bündnis zu spalten, wurde von den betreffenden Gruppen abgelehnt.
Solange in Koalitionsfragen keine Mehrheit erzielt werden kann, gestaltet es sich schwierig, ein Präsidium für das Studierendenparlament zu wählen. Denn auch diese Wahl erfordert 21 der 41 Stimmen, für die es einheitliche Absprachen zwischen den Gruppen geben müsste. So warten die Gruppen auf Koalitionsvorstöße der Jusos und treffen sich nach erneuter Einladung durch das noch amtierende Präsidium demnächst zur dritten konstituierenden Sitzung des 37. Studierendenparlaments.
28.05.2001 *
Koalitionsqualen: Ulrike Kober und ihre "Parteifreunde"
Politik
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