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Text von Freitag, 4. Juni 2004

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 Verheugen-Vortrag: EU als kontinentale Großmacht 
 Marburg * (vic)
Der für die Erweiterung der Europäischen Union (EU) zuständige Kommissar Günther Verheugen war auf Einladung der Philipps-Universität am Donnerstag (3. Juni) in der völlig überfüllten Aula der alten Universität zu gast. Sein Vortrag trug den Titel "Die Europäische Union nach der großen Erweiterung".
Verheugen war als EU-kommissar maßgeblich an der am 1. Mai 2004 vollzogenen Erweiterung der EU um 10 Mitglieder auf jetzt 25 Staaten beteiligt. Der 60-jährige hatte seine politische Karriere als Generalsekrätär der FDP begonnen. Danach saß er lange Zeit für die SPD im Deutschen Bundestag, bevor er 1998 als Erweiterungskommissar zur EU nach Brüssel wechselte.
Zunächst ging Verheugen in seinem Vortrag auf die Ängste der Deutschen Bevölkerung vor einer "Überflutung" des Arbeitsmarkts durch Arbeitskräfte aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten ein. Solche Ängste seien unbegründet, denn durch die Integration dieser Staaten werde sich auch dort die wirtschaftliche Lage verbessern. Wenn es den Menschen in Osteuropa wirtschaftlich gut gehe, kämen sie auch nicht mehr nach Deutschland.
Etwas ernster nimmt der Kommissar dagegen die mögliche Abwanderung deutscher Unternehmen nach Osteuropa. Diese Entwicklung sei allerdings nicht neu, sondern eine logische Folge der vor 40 Jahren begonnenen Marktöffnung zur Liberalisierung des Welthandels. Die Märkte zu den Neu-Mitgliedern seien schon seit 10 Jahren geöffnet.
Auch die Finanzierung der Erweiterung werde höher gehängt als sie es in wirklichkeit sei. Die Neu-Mitglieder müssten schließlich erheblich mehr Geld für die Erweiterung investieren, als sie von der EU durch Subventionen und andere Hilfen einnehmen könnten.
Ferner seien im EU-Haushalt für die Jahre 2004 bis 2006 nur jeweils 10 Milliarden Euro für die Erweiterung vorgesehen. Der deutsche Anteil daran liege bei 22 %, was 2,2 Milliarden entspreche. Das sei doch wenig, meinte Verheugen, wenn man bedenke, das für den Aufbau-Ost jährlich 35 Milliarden Euro ausgegeben werden.
"Nach der Erweiterung der EU ist Europa zu einer kontinentalen Großmacht geworden", bemerkte Verheugen selbstbewußt. Das treffe zumindest auf das wirtschaftliche Gewicht zu, hingegen müsse am politischen Gewicht Europas noch gearbeitet werden. So gebe es noch keine gemeinsame Europäische Außenpolitik, was die Wichtigkeit der Verabschiedung einer gemeinsamen europäischen Verfassung unterstreiche, weil darin auch ein europäischer Außenminister vorgesehen ist.
Die Gestalt des künftigen Europa sei - so Verheugen weiter - noch offen. Wie weit die Erweiterung der EU noch gehen werde, könne niemand vorhersagen. Auf der Tagesordnung stehe noch der für das Jahr 2007 geplante EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien sowie die nächstes Jahr vorgesehene Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien.
Ferner werde die Kommission ende des Jahres darüber entscheiden, ob die EU auch mit der Türkei Beitrittsverhandlungen aufnehmen wird. Die dafür von der Türkei zu erfüllenden Kriterien seien klar und politisch nicht interpretierbar: Die EU verlange Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und die Gewährung von Minderheitenrechten.
Enttäuschend sei, so räumte der Politiker auf Nachfrage ein, das es nicht gelungen sei Zypern vor dem EU-Beitritt zu vereinigen. So konnte nur der griechische Teil der Insel zur EU beitreten, während der Türkische Teil weiter vor der europäischen Tür warten muss. Am Scheitern der Vereinigung der Insel seien die Zypern-Griechen schuld, da sie ihr Versprechen, sich für die Vereinigung einzusetzen, gebrochen hätten. Er fühle sich von ihnen getäuscht, erklärte Verheugen. Das habe er den Zypern-Griechen nach dem Scheitern des Vereinigungsplans auch eindeutig klar gemacht.
Zur Diskussion um ein Kerneuropa meinte der Kommissar, dass dies zwar nicht erstrebenswert sei, aber auch nicht ausgeschlossen werden sollte. So könne ein Kerneuropa entstehen, wenn es nicht gelinge, eine gemeinsame europäische Verfassung zu verabschieden.
Insgesamt zeichnete Verheugen ein ziemlich rosiges Bild Europas nach seiner Erweiterung. Dagegen äußerte er sich kaum zu möglichen Problemen. Aufgrund der begrenzten Zeit kam darüber leider auch keine Diskussion mehr zustande.
 
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