Text von Sonntag, 10. Oktober 2004
Unerwartet modern: Jugendliche zu Neofaschismus | ||
Marburg * (fjh)
Neofaschismus tritt mitunter in Formen auf, die viele nicht erwartet hätten. Das ist eine Erkenntnis der 2. Antirassismus-Konferenz der ver.di-Jugend. 99 junge Leute trafen sich dazu von Freitag (8. Oktober) bis Sonntag (10. Oktober) im Bildungszentrum Gladenbach der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Die meisten Jugendlichen dort waren zwischen 17 und 26 Jahre alt. Viele hatten ganz persönliche Gründe für die Teilnahme an dieser Veranstaltung. Ein Großteil stammte aus den "Neuen Bundesländern". Sie berichteten, dass Neonazis dort häufig anzutreffen seien. Sie kennen rechtsradikale Gesinnungen oft von Mitschülern aus der eigenen Klasse. Auch im Alltag begegneten ihnen häufig Kleidung und Musik, die auf "rechte" Einstellungen hindeuteten. Musik sei ein ideales Mittel, um junge Menschen für neofaschistische Positionen zu gewinnen, erklärte die Leiterin eines Workshops. Bands wie "Härte", "Die Landser" oder die "Zillertaler Türkenjäger" berieseln Jugendliche nicht nur mit zeitgemäßer Musik, sondern gleichzeitig auch noch mit rechtsradikalen Texten. ZU Pop oder Rock ertönt da die Stimme des Reichspropagandaministers Josef Göbbels, der die "deutsche Kultur" preist. Ein anderes Lied macht sich über "Nigger" lustig nach dem Muster des Kinderlieds "Zehn kleine Negerlein". Frank Renneke, der "Star" der rechten Musik-Szene, besingt die Freude auf die Geburtstagsfeier seines Vorbilds Adolf am 20. April. Es gibt auch rechtsextreme Frauenbands wie "Die Walküren" oder "Lokis Horden" und Sängerinnen wie "Annett" oder "Swantje Swanit". Eine eigene Musik-Zeitschrift propagiert diese rassistischen Bands. Dieses Hochglanz-Magazin "Rock Nord" sei sogar am Kiosk erhältlich, berichteten Tagungsteilnehmer. Rechtsradikale Musik verwendet bekannte Muster aus nahezu allen aktuellen Musikrichtungen von Folk bis hin zum Hipphopp. Sogar bekannte Melodien werden mit hasstriefenden Texten neu vertont. In den Workshops erhielten die Teilnehmenden Kriterien, anhand sie rechtsradikale Äußerungen erkennen können: Wenn die fünf Merkmale "Rassismus", "Nationalismus", Militarismus", "Antikapitalismus" und "Führer-Prinzip" alle zusammenkommen, dann geht die Wissenschaft von einem geschlossenen faschistischen Weltbild aus. Sind mindestens drei dieser Merkmale vorhanden, so kennzeichne das eine faschistoid-offene Einstellung. Antikapitalismus drücke sich bei "Rechten" in Kritik am "verjudeten Kapital" oder der "Plutokratie" aus. Oft würden hier aber auch Äußerungen getätigt, die beinahe genausogut von "Linken" stammen könnten. Es sei eine beliebte Taktik der "Rechten", auf kulturelle Gewohnheiten gerade auch der "Linken" zurückzugreifen. Der Neofaschismus komme zwar auch in Uniform und mit Springerstiefeln daher, verfüge daneben aber auch über modernere Ausdrucksformen und Inhalte. Drei rechte" Frauenzeitschriften arbeiteten die Teilnehmende eines Workshops durch. Die "Triskele", "Das treue Mädel" und die "Arian Sisterhood" transportieren klare rassistische Positionen. Daneben bieten sie aber auch "Lebenshilfe": D erhalten die Leserinnen Tipps zur Herstellung von Met, zur Verwendung von Heilkräutern oder für einen Wochenend-Ausflug. Dabei knüpft die "rechte" Szene auch an der Esotherik-Bewegung an. | ||
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