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Text von Sonntag, 12. Dezember 2004

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 Marburgs Simulanten: Europaweite Medikamentenforschung 
 Marburg * (atn/pm)
Mit Hilfe von Computersimulationen wollen europäische Wissenschaftler mögliche Wirkungsweisen von Medikamenten berechnen. Damit soll die Zahl von Tierversuchen und klinischen Studien verringert werden. Marburger Wissenschaftler nehmen bei diesem Projekt eine herausragende Stellung ein. Das berichtete die Philipps-Universität am Montag (13. Dezember).
Die Europäische Union (EU) hat das europaweite Forschungsprojekt "BIOSIMULATION for Drug Research" bewilligt, das moderne Verfahren der Computersimulation für eine effektivere und kostensparende Entwicklung von Medikamenten nutzen will. Die EU fördert das Projekt mit insgesamt 10,7 Millionen Euro über eine Laufzeit von fünf Jahren als ein "Network of Excellence". Das "Netzwerk" besteht aus etwa 20 meist universitären Forschungsgruppen, die auf "exzellente" Forschungsarbeiten auf dem Gebiet von Computersimulationen verweisen können. Hierzu gehört auch ein Marburger Forschungsverbund, der sich aus Wissenschaftlern des Physiologischen Instituts, der Klinik für Psychiatrie und dem Schlaflabor der Inneren Medizin zusammensetzt. Um die Forschungsergebnisse möglichst unmittelbar verwertbar zu machen, sind in das Netzwerk außerdem eine Reihe von Privatfirmen aus der Pharmaindustrie und naheliegenden Bereichen eingebunden. Hierzu gehören Großfirmen wie "Novo Nordisk", Weltmarktführer bei Diabetes-Präparaten, aber auch mittelständische Unternehmen wie die Marburger Firma "interActive Systems", die sich mit neuartigen Informationssystemen im Bereich der Parkinson-Forschung einen Namen gemacht hat.
Im "BIOSIM"-Projekt sollen die wesentlichen Funktionen bestimmter Organsysteme mittels mathematischer Formeln per Computer nachgebildet werden, um die mögliche Wirkungsweise von Medikamenten, aber auch eventuelle schädliche Nebenwirkungen schon im Vorfeld experimenteller und klinischer Untersuchungen abschätzen zu können. Das menschliche Vorstellungsvermögen ist in diesem Fall, angesichts der vielfältigen, meist "nichtlinearen" Wechselwirkungen zwischen den verschiedensten biologischen Funktionen, nachweislich überfordert. Deshalb werden viele Tierversuche und klinische Studien unternommen, die sich aber häufig im Nachhinein als wertlos erweisen. In dem Projekt soll nun die Voraussagekraft wissenschaftlich fundierter Computersimulationen erhöht werden, um so die Anzahl der Tierversuche wie auch die Zahl der klinischen Studien mit all den Risiken für die Patienten deutlich zu verringern. Abgesehen von den ethischen Gesichtspunkten könnten so auch die horrenden Kosten der Medikamentenentwicklung drastisch gesenkt werden, was wiederum der Konkurrenzfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie zugute kommt.
Das Netzwerk untersucht grundlegende methodische Fragen solcher Computersimulationen und setzt inhaltliche Schwerpunkte auf ausgesuchte Krankheitsbilder. Dies sind die Zuckerkrankheit "Diabetes", Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, speziell Bluthochdruck, neurologisch/psychiatrische Erkrankungen, insbesondere Depressionen und Schlafstörungen sowie Tumorerkrankungen.
Verantwortlicher Koordinator des Gesamtprojekts ist Prof. Erik Mosekilde von der Dänischen Technischen Universität in Lyngby. Die weiteren am Projekt beteiligten Universitäten reichen von Oxford im nördlichen bis zu den Balearen im südlichen Europa. Die Marburger Universität nimmt in dem Gesamtprojekt eine herausragende Stellung ein, da ihre Wissenschaftler die Hauptlast der Untersuchungen zu dem Projektbereich "Neurologisch/Psychiatrische Störungen" tragen. Dr. Hans Braun vom Physiologischen Institut ist Leiter dieses Bereichs und Mitglied des für die Gesamtplanung verantwortlichen Gremiums "steering group".
Diese besondere Stellung der Marburger Gruppe beruht auf der erfolgreichen Arbeit dieser interdisziplinären Forschergruppe. Sie kann schon seit vielen Jahren auf sehr erfolgreiche Arbeiten aus der Verbindung von experimenteller und systemtheoretischer Grundlagenforschung mit klinisch angewandter Forschung verweisen. So führte die Verknüpfung experimenteller Daten mit modernen systemtheoretischen Analysen am Physiologischen Institut zu einem neuen Modell von Nervenzellen. In Zusammenarbeit von Physiologie und Psychiatrie wurde in Marburg auch das erste mathematisch fundierte Computermodell zum Zeitverlauf manisch-depressiver Störungen vorgestellt. Hans Braun wurde 1999 für seine interdisziplinären Forschungsarbeiten auf dem Gebiet nichtlinearer und "chaotischer" Systeme zum "Fellow" der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft (APS) ernannt. Außerdem haben sich die Marburger Forscher durch hochwertige Computersimulationen auch für die Lehre - wie MacFrog oder SimNerv - einen weltweit anerkannten Namen gemacht.
 
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