Text von Sonntag, 6. November 2005
Wissen, wo: Wenn Michel Urlaub macht | ||
Marburg * (fjh)
"Bleibe im Lande und nähre die Deinen!" So etwa könnte man die Losung zusammenfassen, die der designierte Bundeswirtschaftsminister Michael Gloß am Sonntag (6. November) ausgegeben hat. Der CSU-Politiker forderte die Bundesbürger auf, ihren Urlaub künftig in Deutschland zu verbringen. Es sei nicht nur in der Karibik schön, sondern auch an der Ostsee und im fränkischen Weinland, meinte Gloß. Man müsse den Menschen die Zusammenhänge zwischen ihrem eigenen Konsumverhalten und der Arbeitslosigkeit klar machen. Die Bundesrepublik könne auf Dauer nicht allein vom Export leben. Den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag scheinen viele unterschätzt zu haben. Keiner vor ihn hat die Weisheiten der Konjunktur-Anbeter so treffend auf den Punkt und an den Mann gebracht wie er. Sollte der deutsche Michel den Weisungen des bayerischen Michel folgen, so sähen wir bald alle blühende Landschaften vor unseren Augen. Heerscharen von Bayern strömten dann in ihren "Krachledernen" durch die Marburger Oberstadt und tränken dort die Weißbier-Vorräte leer. Der Schlossberg freilich wäre ihnen nicht hoch genug. Da kann man ja gar nicht hinaufkraxeln oder sich abseilen! Und alle die armen Verdrossenen, die sich heute entnervt aus der missmutigen Nörgel-Atmosphäre des deutschen Alltags abseilen in die Karibik oder andere sonnenverwöhnte Gegenden, müssten dann auch im Urlaub die zusammengebissenen Zähne preußischer Penibilität ertragen. Denn allein die Welle der deutschen Urlauber im eigenen Land würde aus der Bundesrepublik noch kein Land des Lächelns machen. Das mit der Sonne wird dagegen schon bald funktionieren: Die Klima-Erwärmung wird auch Deutschland immer wärmere Sommer bescheren. Und was das Wetter noch vermissen lässt, das können aufgebrachte Arbeitslosengeld-Empfänger nach französichem Vorbild liefern: Brennende Autos und erhitzte Gemüter verheißen auch den Deutschen schon bald manche heiße Nacht. Wahrscheinich hat auch der scheidende Bundesinnenminister Otto Schily schon an die darniederliegende Konjunktur gedacht, als er die Reisepässe mit "Biometrischen Daten" versah. Die damit einhergehende Preiserhöhung von vorher 26 auf nunmehr 59 Euro liefert ein zusätzliches Argument für den Urlaub in Deutschland. Machen wir uns also gefasst auf den Ansturm der Ossis, der Fischköppe, Pälzer und Schwaben! Wenn sie alle im Sommer nach Marburg kommen, sind wir ja sowieso nicht da. Die Studenten verbringen ihre Semesterferien bei ihren Eltern in Thüringen oder dem Lipperland. Die Lehrer und Hochschullehrer besuchen Workshops auf irgendeiner abgelegenen Burg in der hessischen Provinz. Und die arbeitende Bevölkerung besichtigt den Bayerischen Wald, die hessische Rhön, den Schwarzwald oder die Alpen. Nur die Politiker reisen weit weg ins Ausland. Die Toscana lockt die Sozialdemokraten. Christdemokraten zieht es eher nach Amerika. Liberale bevorzugen osteuropäiche Länder, wo die Lebenshaltungskosten noch deutlich niedriger sind als hierzulande. Und Grüne besuchen Skandinavien, wo die Natur noch nicht so verdreckt ist wie in Deutschland. Es ist gut, wenn wenigstens die Politiker sich mindestens einmal im Jahr verdrücken. Irgendwer muss sich ja um die Pflege der internationalen Beziehungen kümmern! | ||
Ihr Kommentar |
© 2005 by fjh-Journalistenb?ro, D-35037 Marburg