Text von Dienstag, 10. Mai 2005
Erdachtes Thema: Leibniz und das Judentum | ||
Marburg * (mid)
Die Position des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz zum Judentum war Thema eines Vortrags am Montag (9. Mai). Der Lesekreis für jüdische Literatur der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit hatte Dr. Hartmut Rudolph als Dozenten für dieses Thema gewinnen können. Der evangelische Theologe und Kirchenhistoriker ist Leiter der Editionsstelle für die Leibniz-Ausgabe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Seinen Vortrag hielt Rudolph in den Räumlichkeiten der Alten Universität. Rosemarie Dilg-Franck als Vorsitzende des Lesekreises sowie Prof. Dr. Rainer Kessler vom Fachbereich Evangelische Theologie begrüßten dort die Anwesenden. Beide zeigten sich erfreut über die zunehmend verstärkte Kooperation zwischen den beteiligten Institutionen. Rudolph wies in seiner Lesung zunächst darauf hin, dass das Verhältnis des Gelehrten zum Judentum noch nicht abschließend bewertet werden könne. Sein äußerst umfangreiches Werk sei bisher keineswegs vollständig ausgewertet. Im bisher gesichteten und editierten Teil der Schriften finde sich zudem kein Text, der sich explizit mit der jüdischen Kultur und Religion oder dem Verhältnis von Judentum und Christentum auseinandersetzt. Gerade vor dem Hintergrund der Shoa sei es aber dennoch als Verpflichtung zu begreifen, die Schriften aller prägenden deutschen Geistesgrößen auf anti-jüdische oder anti-semitische Ressentiments hin zu untersuchen, begründete Rudolph das Interesse an seiner Forschungsarbeit. Seine Analyse stützte sich daher auf einschlägige Passagen in verschiedenen wissenschaftlichen Stellungnahmen von Leibniz. Dabei kam Rudolph zu dem Ergebnis, dass der ausgebildete Jurist als Rechtsberater in unterschiedlichen Zusammenhängen zumeist eine den gesetzlichen Regelungen der Zeit entsprechende Position zur gesellschaftlichen Stellung der Juden bezog. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)bearbeitete die einschlägigen Fragen ausdrücklich mit juristischer Nüchternheit und ergriff inhaltlich nicht Partei. Eine deutliche Distanzierung vom delinquatorischen Anti-Semitismus seiner Zeit, der Juden beispielsweise die Durchführung von Ritualmorden unterstellte, ist aus seiner Korrespondenz mit Kollegen aber ebenfalls ableitbar. Auch als Religionswissenschaftler verwahrte sich Leibniz mit historisch-wissenschaftlichen Argumenten gegen eine explizit anti-jüdische Bibelauslegung, wie sie von anderen Gelehrten betrieben wurde. Der aktuelle Forschungsstand weist laut Rudolph insgesamt darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit dem Judentum kein zentrales Thema für Leibniz war. Rudolph räumte jedoch ein, dass die Auswertung der verbliebenen Schriften aus dem Leibnizïschen Nachlass in dieser Hinsicht durchaus noch Überraschungen bergen könne. Seine Vermutung lautet, dass sich Leibnizï indifferente Haltung mit zunehmendem Alter zu einer Positionierung gegen den Anti-Semitismus gewandelt habe. | ||
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