Text von Montag, 20. März 2006
ALG-Abrechnung: Ein Jahr Hartz IV Nicht die durch Statistik-Tricks | ||
Marburg * (jnl)
örtlichen Kreisjobcenters standen am Dienstag (21. März) im Kulturladen KFZ im Mittelpunkt einer hochkarätig besetzten Informationsveranstaltung, sondern die kontinuierliche Misere der Alltagspraxis des ersten Jahres "Hartz IV". Fehlende Sachkompetenz, lange Bearbeitungszeiten, geringe Erreichbarkeit der "Fallmanager" und dergleichen wurden von zwei Bundestagsabgeordneten sowie Sachkundigen aus der Sozialberatung auf dem Podium in Zusammenhänge gebracht. Rund 70 Interessierte waren trotz wahlkampfbedingten Veranstaltungs-Überangebots der Einladung der DGB-Erwerbslosengruppe Marburg gefolgt, auf einer Podiumsdiskussion die Bilanz nach einem Jahr Kreisjobcenter zu ziehen. Diese fiel alles andere als rosig aus, denn die Schilderungen aus der Praxis sind noch niederschmetternder als die blanken Zahlen. Obwohl auch die letzteren kürzlich den Marburger Oberbürgermeister Egon Vaupel zu passend harten Worten veranlasst hatten, wie die Lokalpresse berichtete. Aber die oft mangelnde fachliche Qualität der Umsetzung der Hartz4-Vorgaben gegenüber Eltern, "Bedarfsgemeinschaften", Behinderten und Armen stellt die abstrakteren "Zahlen" weitaus in den Schatten. Der Sprecher der überregionalen Erwerbslosenbewegung, Frank Jäger, zeigte sich kompetent, dem Publikum einen Überblick über das Ausmaß wachsender Verarmung weiter Bevölkerungskreise zu verschaffen. Die Versprechungen des Ministers Wolfgang Clement seien nirgens eingelöst worden. Sogar die Kommunalfinanzen hätten böse gelitten. Der lokale Sozialberater der Ver.di-Erwerbslosengruppe, Martin Bongarts, äußerte Besorgnis über die zahlreichen örtlichen Fälle von behördlichem Fehlverhalten und Verantwortungslosigkeiten. Das Ausmaß der verwaltungsfachlichen Qualitätsmängel (Berechnungsfehler, "kreative Gesetzesauslegung", Ausbildungsmängel, Schikanen) seie beim hiesigen Optionsmodell größer als in ARGE-Gebieten. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sören Bartol räumte zwar "vereinzelte Mängel beim Personal" ein, aber verteidigte mit saurer Miene die "erfolgreiche Reform". Ohne diese Gesetze sähe alles noch viel schlimmer aus. Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Kornelia Möller, die selber eine langjährige Praxis als Sozialberaterin aufweist, agierte beherzt und wies die Aussagen ihres MdB-Kollegen als wirklichkeitsfernes Wunschdenken zurück. Ihr zufolge müsste man dringend daran denken, die bisher miserabel gelöste Beschwerdeinstanz für Betroffene, die Verwaltungsfehlverhalten beklagen, angemessener zu gestalten. Leider habe eine 8%-Partei im Bundestag geringe Durchsetzungschancen, man müsse Basisarbeit im Lande stärken. Die besten Ideen förderte die anschließende freie Aussprache aus den Reihen des Publikums zutage. Von viel Beifall begleitet, wurde gefordert, endlich eine Amtshaftung für Mitarbeiter der Jobcenter einzuführen, sodass deren Fehlverhalten zeitnaher als durch jahrelange Wartezeiten vor Sozialgerichten korrigiert werden könnte. Nur dadurch erhielten auch die kommunalen Träger einen notwendigen wirtschaftlichen Anreiz, für bessere Ausbildungsstandards und sozialkommunikative Grundfähigkeiten zu sorgen. In den örtlich einzurichtenden Begutachtungs- und Schiedsstellen sollten vor allem tatsächlich Sachkundige und Betroffene Sitz und Stimme haben. Nachweisliche amtliche Fehler müssten obligatorische Nachschulungen der "Fallmanager" auslösen. Mehrfache grobe Verstöße müssten zu Entlassungen der für dieses sensible Aufgabenfeld offenbar Ungeeigneten führen. Die sogenannte "Ombudskommission" der Bundesregierung, deren öffentliche Stellungnahmen und personelle Besetzung als sehr umstritten gilt und vielfach zu Kopfschütteln Anlass gab, müsse abgelöst werden durch tauglichere, unideologischere und ortsnahere Petitionsstellen für Hartz4-Betroffene, die sich von den Behördenmitarbeitern in Menschenwürde verletzender Weise drangsaliert oder um ihr gutes Recht gebracht sähen und Indizien dafür vorlegen könnten. Ein Staat, der die sozialen Grund- und Bürgerrechte der Armen, Schwachen und Jungen stetig verletze, der züchte Kriminalität und Absterben demokratischer Beteiligung. Die - um reichlich 40% im letzten Jahr - zunehmende Inanspruchnahme der bundesweit vertretenen sogenannten "Tafeln", die den Ärmsten verbilligte Lebensmittel und Suppenküchen zugänglich machen, sei eine traurige Realität. Das sollte nicht der Normalfall sein. Das räumte selbst Sören Bartol ein, der auf ganz konkrete Fragen der Stadtverordneten Eva Gottschaldt nach der Notlage von Familien und Kindern unter der Hartz4-Praxis nichts recht zu sagen wusste, als das sei ja so nicht beabsichtigt gewesen. Die Podiumsdiskussion endete mit einem Appell der souverän agierenden Moderatorin, den Marburger Stadtpass endlich wieder zu verbessern und mehr Volkshochschul-Kurse für Erwerbslose zu deren Weiterbildung kostenlos zugänglich zu machen. | ||
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