Text von Sonntag, 18. Februar 2007
Film-Festival: Arbeitsbedingungen in China | ||
Marburg * (ule)
Die knapp 50 Plätze des Kinosaals im g-werk waren restlos besetzt. An der hinteren Wand zwängten sich noch zehn bis 15 Personen auf eine Feuertreppe. Und obwohl die Organisatoren eilig Stühle in die verbleibenden Ecken drückten, fand nicht jeder einen Sitzplatz. Als am Samstag (17. Februar) der Film "China Blue" im g-werk über die Leinwand lief, war der Andrang groß. Insgesamt 11 Filme wurden dort von Donnerstag (15. Februar) bis Sonntag (18. Februar) im Rahmen eines bundesweiten Film-Festivals zu Arbeit, Wirtschaft und Globalisierung gezeigt. Unter dem Titel "ueber arbeiten" ist das Gesellschafter-Projekt der Aktion Mensch (AM) seit November 2006 und noch bis April 2007 unterwegs, um das Film-Festival in über 80 Städten der Bundesrepublik zu organisieren. Durch die Zusammenarbeit mit lokalen Festival-Partnern wie Radio Unerhört Marburg (RUM), dem Marburger Weltladen, Attac und der DGB-Jugend konnten die Vorführungen auch in Marburg stattfinden. Wie in jeder Stadt wurden dabei die vier Themenkomplexe des Festivals abgedeckt: Arbeitslosigkeit, Jugend und Arbeit, Aspekte der Globalisierung und Arbeit im Alter. "Elf deutsche und internationale Dokumentarfilme lassen diejenigen zu Wort kommen, die täglich mit den Auswirkungen der zunehmenden globalen Verflechtung auf ihr Leben, ihre Arbeitswelt und ihr wirtschaftliches Handeln konfrontiert sind", heißt es im Programmheft. "Und sie stellen Menschen vor, die sich nicht mit den Verhältnissen abfinden, sondern sich mit ihnen auseinandersetzen". Einer dieser Filme ist "China Blue". Der Regisseur Micha X. Peled drehte insgesamt acht Monate - teilweise verdeckt - in der Volksrepublik China, um die Arbeitsbedingungen im Wirtschaftswunder zu dokumentieren. Mehrere Male wurde er von den chinesischen Behörden verhaftet und das Film-Material konfisziert. Trotz dieser erschwerten Drehbedingungen entstand ein bemerkenswerter Streifen. Erzählt wird darin die Geschichte von Jasmin. Die 17-Jährige verlässt ihr Dorf, um in der kantonesischen Stadt Shaxi in der Textilfabrik Lifeng anzuheuern. Jasmin ist nur eine von insgesamt 150 bis 200 Millionen Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern, die das arme und harte Dorfleben hinter sich lassen und in den südchinesischen Provinzen nach Arbeit suchen. Vor den schweren Eisentoren von Lifeng angekommen, gewährt ihr der Wachdienst den Zutritt. Mit einer Mischung aus Pflichtbewusstsein und Beiläufigkeit verkündet der Vorarbeiter die Arbeitsanforderungen: Täglich 14 Stunden und insgesamt sieben Tage in der Woche soll sie arbeiten. Jasmin nickt tapfer. Sie wird als Faden-Abschneiderin eingestellt. Schnell wird auch Jasmin zu einem funktionierenden Rädchen im Produktionsprozess der Jeansfabrik. Überstunden stehen an der Tagesordnung, so dass sie im Durchschnitt mit nur vier Stunden Schlaf auskommen muss. Oftmals sind es auch nur ein bis zwei Stunden. Einige ihrer Kolleginnen sind so müde, dass die Vorarbeiter ihnen teilweise mit Wäscheklammern die Augenlider hochklappen, um sie wach zu halten. Manche Arbeiterinnen schlafen in der Mittagspause vor Erschöpfung direkt unter den Maschinen ein. Der Monatslohn für diese Tortur liegt bei gerade einMal 30 bis 40 Euro. Nach Abzug von Essen und Miete bleibt davon nicht mehr viel übrig. Als Jasmin nach neun Wochen ihren Lohn noch immer nicht gesehen hat, ist sie wie viele ihrer Kolleginnen wütend und hilflos zugleich. Eine Gewerkschaft oder einen Betriebsrat gibt es nicht in ihrer Fabrik. Jede einzelne Arbeiterin steht individuell an ihrer Maschine und weiß, dass vor den Fabriktoren andere auf Arbeit warten. Wandzeitungen, auf denen steht "Wer heute nicht doppelt so hart arbeitet, hat morgen keine Arbeit", verstärken dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Micha X. Peled ist mit "China Blue" ein herausragender Film über die Schattenseiten der Globalisierung gelungen. Seit mehr als zehn Jahren sind die Zustände in den Textil-, Spielzeug- und Turnschuhfabriken Asiens - auch Sweatshops genannt - bekannt. Peled hat ihnen nun Stimme und Gesicht gegeben und sie dadurch für uns visuell erfahrbar gemacht. Was den Film so wertvoll macht, ist nicht nur die Dokumentation der Arbeitsbedingungen. Peled schob immer auch Film-Sequenzen über den Chef ein. Darin sah man ihn entweder völlig entspannt - fast schon meditierend - beim Kalligraphieren, oder aber vorm Monitor beim Überwachen seiner Arbeiterinnen. In einer Betriebssitzung befahl er seinen Vorarbeitern kühl: "Motiviert die Kompetenten und feuert die Nutzlosen". Durch diese Gegenüberstellung gelingt es Peled, den Zynismus der Profiteure des Wirtschaftswunders offen zu legen und zugleich das Wirtschaftswunder selbst ad absurdum zu führen. In dieser Kombination wird "China Blue" genauso wie das gesamte Festival zu einer Anklage der politischen und sozialen Widersprüche auf dieser Welt. | ||
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