Text von Samstag, 24. Februar 2007
Cardenal: Revolutionär, Priester und Dichter | ||
Marburg * (ule)
Mit stehenden Ovationen für Ernesto Cardenal endete seine Konzert-Lesung am Freitag (23. Februar) in der Elisabethkirche. Zusammen mit der lateinamerikanischen Musikband "Grupo Sal" begeisterte der nicaraguanische Dichter die fast 500 Anwesenden. Schon einige Tage zuvor waren die Karten für diesen Abend im Vorverkauf nicht mehr zu bekommen. Erwartungsgemäß waren auch die Restbestände an der Abendkasse relativ schnell weg. Ernesto Cardenal ist in einer Stadt wie Marburg kein Unbekannter. Und er verstand es an diesem Abend, seine Gäste zu bewegen. Mit Charme, Witz und Kampfgeist führte er das erwartungsvolle und wohl vielfach in Erinnerung schwelgende Publikum durch den Abend. Mit ausgewählten Gedichten lud der sympathische Südamerikaner seine Zuhörer zu einer Reise durch die einzelnen Stationen seines Lebens ein. Dabei zog er es mit kraftvollen Zügen nach und verwob es geschickt mit der politischen Entwicklung seines Heimatlandes. Am Anfang standen Liebesgedichte, die vor Überheblichkeit und Selbstüberschätzung nur so strotzten. Sprachgewaltig vereinte er die Unbekümmertheit eines Verliebten und den jugendlichen Anspruch auf Exklusivität. Beim Publikum erntete er dafür ein vielwissendes Schmunzeln. Während eines Studien-Aufenthalts in New York entstand ein wunderbar tiefsinniges Gedicht über Marilyn Monroe. Der Wiedererkennungseffekt ist groß, denn die Zeilen scheinen stellvertretend für all die verborgenen Narben eines jeden einzelnen zu stehen. Auf die Zeit in New York folgte schließlich die Rückkehr nach Nicaragua. Cardenal - der eigenen Angaben zufolge durch das Neue Testament zum Marxisten geworden sei - setzte sich zunehmend mit den Widersprüchen seiner Zeit auseinander. In seinen Gedichten schilderte er den Terror unter dem Diktator Somoza. Unvergleichlich inspirierend erzählen sie aber auch von der Sehnsucht nach einem besseren Leben, einer klassenlosen Gesellschaft und schließlich der sandinistischen Revolution. "Sein Leben lassen heißt für die Zukunft kämpfen", hieß es dazu entschlossen in einem Gedicht. Besonders anrührend war das letzte seiner Gedichte, in dem er die Geschichte eines Freundes erzählte. Er war Guerillero und starb in den Kämpfen der Revolution. Auf eine einzigartige Weise gelang es Cardenal, seinem Publikum Gerührtheit und Humor gleichsam abzutrotzen. Rezitiert wurde auf Spanisch und Deutsch. Herbert Schulz, der die Übersetzungen ins Deutsche übertrug, tat das jedoch mit mindestens so viel Leidenschaft und Empathie wie Cardenal selbst. Cardenals Gedichte sind Zeugnisse eines alten Mannes, der sich trotz seiner 82 Jahre seine natürliche Unbeugsamkeit und seine Authentizität bewahrt hat. | ||
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