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Text von Mittwoch, 31. Oktober 2007

> k u l t u r<
  
 Kühle Gottheit: Jürgen Becker lästerte lustig 
 Marburg * (mjb)
Karnevalsstimmung Ende Oktober und mitten im evangelischen Marburg! Eigentlich ist das kaum vorstellbar. Aber der Auftritt von Jürgen Becker am Dienstag (30. Oktober) in der Stadthalle machte es dennoch möglich.
Der Kölner Kabarettist begeisterte mit seinem Programm "ja, was glauben sie denn? - Eine kabarettistische Götterspeise" das Publikum im gut gefüllten Erwin-Piscator-Haus (EPH). Veranstaltet wurde der Abend vom Kulturladen KFZ im Rahmen des 9. Marburger Kabarett-Herbsts.
Jürgen Becker ist durch die Sendung "Mitternachtsspitzen" des WDR-Fernsehens einem breiteren Publikum bekannt. Er wusste aber auch auf der Bühne zu überzeugen.
"Marburg ist ja die einzige evangelische Stadt mit Heiligen-Verehrung." Mit dieser Feststellung eröffnete Becker sein Programm und stellte damit nicht nur sofort eine Verbindung zu Marburg und zum Rummel während des Elisabeth-Jahrs her. Er gab auch gleich die Richtung des gesamten Programms vor. Es wurde ein respektloser und mit zahlreichen Pointen gespickter Streifzug durch die Menschheits- und Religionsgeschichte.
Im ersten Teil interpretierte Becker auf sehr eigenwillige Weise die Entstehungsgeschichte der Erde und der Menschheit. Er zog sowohl die Entdeckung des menschlichen Zwischenkiefer-Knochens durch Johann Wolfgang von Goethe als auch Charles Darwins Evolutionstheorie heran, um letztlich zu der Feststellung zu gelangen, dass der Mensch keineswegs die Krone der Schöpfung sei. Er sei stattdessen sogar dem Maulwurf und dem Bandwurm unterlegen, da diese sich im Laufe der Evolution viel besser in der Welt eingerichtet hätten und deshalb auch mit einem wesentlich kleineren Gehirn auskommen könnten. Der Mensch brauche sein großes Gehirn eigentlich nur, weil er nicht richtig schwimmen, fliegen oder rennen könne und diese Defizite irgendwie kompensieren müsse.
Auch wenn diese Ausführungen sehr amüsant waren, vermisste man doch zuweilen den Bezug zum Titel des Programms und fragte sich, worauf Becker mit seinen Erkenntnissen hinaus wollte. Das änderte sich aber nach der Pause. Im zweiten Teil des Programms widmete sich Becker den Glaubensfragen und schlug dann auch den Bogen zu seinen evolutionstheoretischen Gedanken.
Religion sei eigentlich moderner Plunder, wenn man sie ins Verhältnis zur ganzen Menschheitsgeschichte setze. Becker stellte fest, dass Religionen, die an mehrere Götter glauben, friedlicher seien als die monotheistischen Religionen. Immer nur an einen Gott zu glauben, sei langweilig und mache eben auf die Dauer aggressiv.
Deshalb hätten die Germanen auch nicht freiwillig das Christentum angenommen. Man hätte es ihnen erst reinprügeln müssen.
Auf ähnlich respektlose Weise erläuterte der Kabarettist die Entstehung von Islam, Christentum und Judentum und sparte auch die verschiedenen Glaubensrichtungen innerhalb des Islam nicht aus.
Während des knapp zweieinhalbstündigen Programms verblüffte Becker mit einer erstaunlichen stilistischen Vielfalt. Sein Repertoire reichte vom Kalauer über geistreiche Wortspiele bis hin zum bissigen und leicht boshaften Humor.
Der gesamte Auftritt strotzte nur so vor rheinischem Humor. Sein Vortrag war deutlich von der kölschen Mundart geprägt. Es war ein sehr rasantes Programm mit sehr vielen Pointen, sodass man manchmal mit dem Lachen kaum hinterhergekommen ist.
Die Zuschauer erlebten einen sehr unterhaltsamen und amüsanten Abend, wobei die zweite Hälfte des Programms die überzeugendere war. Das war auch an den Reaktionen des Publikums zu spüren: Seine Begeisterung steigerte sich im Laufe des Abends. Den Höhepunkt erreichte die Stimmung am Ende des Programms, als Becker das Lied "ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin" anstimmte.
Diese ironische Hymne auf den rheinischen Katholizismus sorgte dann endgültig für Rosenmontags-Stimmung und begeistertes Mitsingen und Mitklatschen. Passend dazu klang der Abend dann mit dem Ausschenken von
Freibier aus. Becker endete mit der Feststellung, dass der Leib Christi sich aus theologischer Sicht nicht zwangsläufig im Brot verkörpern müsse, sondern auch im Bier erscheinen könne. Darum versammelten sich nach dem Programm Künstler und Publikum vor der Bühne, um gemeinsam frisch gezapftes Kölsch zu genießen.
Es war ein schöner Abschluss für einen gelungenen Abend und ganz im Sinne der Worte von Jürgen Becker: "Gegen Gott ist nichts einzuwenden, wenn er kalt und frisch gezapft ist."
 
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