Text von Sonntag, 18. November 2007
Schloss Gripsholm: Ein Sommertraum im TaSch 1 | ||
Marburg * (fjh)
"Wie heißt er denn eigentlich richtig?", möchte Billie von ihrer Freundin Lydia wissen. "Manchmal nennst Du ihn Daddy, manchmal Peter und manchmal auch Fritzchen." Lydia nennt ihrer Freundin den echten Namen ihres Geliebten: "Kurt!" 1931 hat Kurt Tucholsky seine Erzählung "Schloss Gripsholm" veröffentlicht. Eine Bühnen-Fassung dieser Novelle hat Swentja Krumscheidt am Samstag (17. November) auf die Bühne des Theaters am Schwanhof (TaSch 1) gebracht. Die Aufführung begann mit einem beziehungsreichen Gag: Ein Mann mit Schweinsmaske joggte in kurzen Sport-Hosen durch den Zuschauerraum. Dann begann Daddy - gespielt von Sascha Oliver Bauer - mit einer kurzen Einführung in das Geschehen. Sie dauerte nur drei oder vier Sätze, dann nahm er sogleich den ersten Dialog mit seiner Geliebten auf. Mit Lydia ist er nach Schweden gereist, um dort den Sommer zu genießen. Die beiden freuen sich am Sommer, an dem schönen See und dem nahe gelegenen Schloss Gripsholm. Vor allem aber freuen sie sich aneinander und an ihrer liebe. Sie trinken und turteln. Immer wieder sang die Schauspielerin Ulrike Knobloch dabei leise - fast abwesend - Chansons von Kurt Tucholsky. Ansonsten frozzelte oder verführte sie als Lydia ihren männlichen Begleiter abwechselnd. Daddy hat einen Brief erhalten. Nur widerwillig liest er ihn Lydia vor. Darin kündigt sein Kriegskamerad Karlchen (Daniel Sempf) an, ihn in Schweden besuchen zu kommen. Die Freundschaft zu ihm war ihm stets wichtig. So verbringen Daddy und Lydia nun einige Zeit gemeinsam mit Karlchen. Schnell wird klar, dass auch er sich in Lydia verliebt hat. Und auch ihr ist dieser junge Mann nicht unsympathisch. So herrscht bei allen dreien Trauer, als Karlchen schließlich wieder abreist. Doch an seiner Statt taucht nun Lydias Freundin Billie auf. "Sie ist mein Karlchen", begründet Lydia diesen Besuch. Auch Billie ist Daddy nicht unsympathisch. Und so kommt es irgendwann nach vielen Gläsern Rotwein noch einmal zu einem Abenteuer zu Dritt. Doch Billie ist eher ein verruchter Vamp, während Daddy Lydias menschenfreundlichen Charakter schätzt. Lydia hat das Kind Ada - dargestellt von der kleinen Julia Oesterle - vor den Fängen ihrer Heimleiterin Adriani gerettet, die ihr Kinderheim auf der Basis von "Zucht und Ordnung" rücksichtslos führt. Am Ende darf Ada zu ihrer mutter. Dem Paar bleibt die Liebe zwischen Daddy und Lydia. Und es bleibt die Erinnerung an einen wunderschönen Sommer in Schweden. Swentja Krumscheidt hat diese Geschichte eindrucksvoll auf die Bühne gebracht. Tucholskys Erzähl-Text hat sie dafür allerdings stark gekürzt. So scheinen nur relativ selten die literarischen Passagen des berühmten Autors durch. Dafür entschädigt Krumscheidt ihre Zuschauer aber durch eine einfühlsame und ausdrucksstarke Inszenierung der Sommergeschichte. Viele Nuancen transportieren die Schauspieler durch Mimik und Gestik. Auch erotische Szenen bleiben bei gelungenen Andeutungen. So liegen Daddy, Karlchen und Lydia nebeneinander. Karlchen hat seinen Kopf in Lydias Schoß gelegt. Während der Nächte verwandelt sich das gekonnt minimalistische Bühnenbild von Alexander Martynow in eine fast gespenstische Szenerie. Im Dunkeln mimen die Schausppiler Vögel oder andere Tiere, deren Stimmen sie durch - mit Hall unterlegte - Rufe gekonnt nachahmen. Insgesamt dreimal lässt die Regisseurin auch Gestalten mit Tierköpfen auftreten. Neben einem Schwein ist es noch ein wolf und - in Anspielung auf William Shakespeares "Sommernachtstraum" ein Eselskopf. Das Bühnenbild besteht lediglich aus seitlich längs- und hinten quergestreiften Lamellen. Ansonsten befindet sich mitten auf der Bühne ein Swimming Pool, der den See darstellen soll. Er dient aber auch als Sitzmöbel. In ihm plantschen die schauspieler genüsslich herum und spritzen einander nass. Einzige Requisite sonst ist ein Grammophon, zu dessen Musik meist Lydia - einmal auch im duett mit Billie - Tucholsky-Chansons singt. Der Gesang ist dabei eher leise und vorsichtig so wie die Liebe der jungen Frau zu ihrem literarischen Begleiter. Eine gekonnte Stepptanz-Einlage von Regine Leitner zeigt das Potential dieser Inszenierung am Eindrucksvollsten. Gelungen ist auch ihre Gesangsnummer, bei der sie sich in einem langen Ledermantel lasziv präsentiert. Alle Darsteller hat Krumscheidt zu Best-Leistungen motiviert. Lediglich die Kinderheim-Direktorin Adriani skizzierte Anne Berg etwas überzogen als Karikatur einer Nazi-Gubernante. Insgesamt zeigte der Abend eine witzige, spritzige und zugleich gehaltvolle Umsetzung des Stoffs. Von dieser Regisseurin möchte das Marburger Publikum sich weitere Inszenierungen wünschen. Das belegte auch der langanhaltende Applaus zum Schluss der Premiere. "Wenn ich Dir Dein Futurum nehme, bleibt Dir nichts mehr übrig", frozzelt Lydia. Und Daddy denkt nach über die Macht der Liebe und ihre Kraft, die Grenzen der Zeit zu überwinden: "Wir hatten geglaubt, der Zeit entrinnen zu können. Man kann das nicht. Sie kommt nach." | ||
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