in Partnerschaft mit
28.03.2001 * (sfb)
"Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau ..." Dass dieses Schiller-Zitat in heutiger Zeit immer noch zutrifft, ist eine traurige Realität. Abhilfe schaffen will ein Seminar "Frauen machen Politik - Politik braucht Frauen", das Ulrike Dukat, kommissarische Leiterin des
Frauenamtes
beim
Landkreis Marburg-Bidenkopf, auf einer Pressekonferenz am Mittwoch (28. März) vorstellte. Es ist bereits das dritte Seminar in Folge, das von der Gleichstellungskommission der
Stadt Marburg
initiiert wurde. Die hohe Erfolgsquote der vorhergehenden Kurse ermutigt, dieses Bildungsprojekt fortzusetzen. Mit Stolz wiesen die Organisatorinnen darauf hin, dass in Stadt und Kreis mittlerweile 27 Frauen aktiv sind.
Auch demnächst werden die Kursleiterinnen Katja Franz und Dorothee Griehl-Ethozayel den Frauen das nötige Handwerkzeug für eine politische Betätigung vermitteln. Sie informieren über die mitunter undurchsichtigen Verwaltungsstrukturen, über Finanzen und Interessenvertretungen in Gemeinden und Kreis.
Da Politik in erster Linie ein Agieren in der Öffentlichkeit ist, werden in dem Kurs rhetorische Techniken eingeübt, die helfen, den eigenen Standpunkt wirkungsvoll zu vertreten.
Dukat wies darauf hin, dass eine medienwirksame Selbstdarstellung den Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit ungemein erhöht. Gerade das neue Wahlsystem stelle eine Herausforderung dar. Je stärker frau in der Öffentlichkeit steht, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, durch Kumulieren und Panaschieren aufzurücken.
In den Kurs werden zudem waschechte Politikerinnen eingeladen, die ihre Wege in die Politik erläutern oder für Anregungen und Fragen zur Verfügung stehen.
Die rechtliche Grundlage für diese Bildungsmaßnahme ist der Paragraph 14 des hessischen Gleichberechtigungsgesetzes (HGIG). Es sieht vor, dass der Frauenanteil in den Gremien 50% betragen soll. In Wirklichkeit sind Frauen in wichtigen Planungsgremien nicht vertreten oder deutlich unterrepräsentiert. Im Haupt- und Finanzausschuss des Kreises seien lediglich 7,5 % Frauen beteiligt. Diese Gremien stellen nach Ansicht von Griehl eine Männerdomäne dar, die hartnäckig verteidigt wird. Etwas höher ist die Zahl in den Kultur- und Jugendämtern, - in Einrichtungen also, die soziales Engagement erfordern.
Es sind aber auch individuelle Hinderungsgründe dafür verantwortlich, dass Frauen sich nicht in die Politik trauen. Einige gehen davon aus, dass ein BWL- oder Ingenieurstudium erforderlich sei, um in den besagten Gremien mitreden zu können. Nicht selten hindert ein distanziertes Verhältnis zur Macht daran, sich die nötige Geltung zu verschaffen. Manchmal sind die Frauen auch durch familiäre Verpflichtungen verhindert. Die Familie kann aber gleichzeitig der Grund sein, dass Frauen politisch aktiv werden wollen. Gerade Mütter stoßen häufig an gesetzliche Grenzen, wenn es um Betreuungsplätze oder Öffnungszeiten geht. Aus diesen und anderen Gründen hegen viele den Wunsch, sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, wissen aber nicht wie und resignieren. Das kann nun geändert werden.
Informationen zu dem Kursangebot können erfragt werden beim Amt der städtischen Frauenbeauftragten unter Tel. 06421/201 - 377 oder beim Frauenamt des Landkreises Marburg-Biedenkopf unter Tel. 06421/405 - 311.
24.03.2001 * (sap)
Unter dem Motto "Überfall auf Jugoslawien - wer wird der nächste sein?" demonstrierten am Samstag (24. März) aus Anlass des zweiten Jahrestags der Luftangriffe auf Jugoslawien gut 150 Bürgerinnen und Bürger gegen die Militärpolitik. Beim Deserteursdenkmal am Kämpfrasen sprach Roland Grimm von der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG/VK) über Kriegsdienstverweigerung. Bei einem Zwischenstop an der Augustinertreppe forderte Ilse Staude von "Steuern zu Pflugscharen" ein Gesetz, das die Verwendung von Steuern ausschließlich zu zivilen Zwecken ermöglicht. Ebenso wie das Grundgesetz die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ermöglicht, müsse es auch ein Recht zur Kriegssteuerverweigerung aus Gewissensgründen geben. Die Wettenberger Pfarrerin legte entsprechende Petitionslisten zur Unterschrift aus.
Bei der Abschlusskundgebung auf dem Marburger Marktplatz kritisierte Franz-Josef Hanke, Ortsvorsitzender der
Humanistischen Union, die Bundesregierung, die mit ihrer
Begründung
einer "Humanitären Katastrophe" die Bevölkerung systematisch über die wahren Kriegsziele und -gründe getäuscht habe.
22.03.2001 * (FJH)
Die Gewinnerin der
Kommunalwahl in Marburg
heißt
Käte Dinnebier. Die ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende ist der "Shooting-Star" unter den Kandidatinnen und Kandidaten zum Stadtparlament. Vom aussichtslosen Platz 46 auf der SPD-Liste wurde die Rentnerin mit 9.279 Stimmen auf Platz 16 und damit in die Stadtverordnetenversammlung hinein gewählt.
Diese Entscheidung der Wählerinnen und Wähler ist nicht nur eine Würdigung ihrer Arbeit und ein deutlicher Vertrauensbeweis für die seinerzeit erste Frau an der Spitze eines DGB-Kreises, sondern auch ein Votum für couragiertes gewerkschaftliches Engagement.
Mit diesem Sprung über 30 Listenplätze hinweg profitiert Käte Dinnebier vom neuen Kommunalwahlrecht, das am 18. März 2001 zum erstenmal Stimmhäufung (Kumulieren) und Stimmverteilung auf mehrere Listen (Panaschieren) ermöglicht hat.
Ein weiterer Profiteur dieser Regelung ist der Apotheker Gregor Huesmann, der von Listenplatz 13 mit 3.743 Stimmen hinter dem Notar und Rechtsanwalt Heinz LUdwig als zweiter Stadtverordneter der Marburger Bürger-Liste (MBL) ins Kommunalparlament einrückt.
Vom Rückgang der Stimmen für die Republikaner hat hessenweit die CDU profitiert, die mit guten 4% Zuwachs etwa genausoviel zugelegt hat wie die "Reps" verloren. Verantwortlich für diese Wählerwanderung am rechten Rand dürfte vor allem die Politik des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch sein, der bei der Landtagswahl am 7. Februar 2000 seine Stimmen mit Schwarzgeld erkauft hat, für die ausländische Bürgerinnen und Bürger mit Furcht vor Übergriffen rechtsradikaler Glatzköpfe bezahlen mussten.
Marburg hat aber wieder "links" gewählt, wenn auch die Grünen merklich Stimmen eingebüßt haben. Grüne Zustimmung zum Krieg im Kosowo und ein windelweicher "Atom-Kompromiss" schlagen zu guter Letzt auch auf das Kommunalwahlergebnis durch. Da aber die SPD mit 20 Sitzen stärkste Fraktion geworden ist und ein gutes Drittel der Parlamentarier stellt, behält die rot-grüne Stadt-Koalition eine - wenn auch mit einer Stimme nur hauchdünne - Mehrheit.
Behaupten konnten sich die PDS als progressive Kraft mit immerhin vier Mandaten ebenso wie die Bürger für Marburg (BFM) mit drei Stadtverordneten und die Marburger Bürger-Liste (MBL) mit zwei Sitzen als eher konservative Wählergruppen. Auch die FDP wird künftig drei Vertreter ins Stadtparlament entsenden. Dennoch bleibt eine sichtbare Mehrheit von der Mitte, sofern man SPD und Grüne noch dort verorten kann.
Bedenklich indes ist die geringe Beteiligung von nur 52 % der Wahlberechtigten. Hierzu mag zum einen das neue Wahlrecht beigetragen haben, das von den verantwortlichen Stellen zu umständlich erklärt wurde, obwohl es eigentlich doch ganz einfach ist. Abgeschreckt haben mögen zudem die riesigen Wahlbögen, die Wahlberechtigten leicht das Gefühl vermitteln können, überfordert zu werden.
Dennoch ist das neue Wahlrecht ein Gewinn für die demokratische Kultur in Hessen. Stimmverschiebungen nach der ersten Auszählung, als zunächst nur die Kopfstimmen für die Parteilisten ausgewertet worden waren, von CDU und FDP hin zu SPD, Grünen und PDS belegen, dass vor allem "Linke" von diesen neuen Möglichkeiten ausgiebig Gebrauch gemacht haben. Vielleicht bürgert sich dieses kleine Bißchen mehr Demokratie bis zur nächsten Wahl richtig ein. Dann wären wir - die Bürgerinnen und bürger - alle die Gewinner.
20.03.2001 * (sap)
Ein erstes Zwischenergebnis für den Kreistag gab das Wahlbüro des Landratsamtes bekannt. Der aktuelle Stand der Auszählung bezieht sich auf 305 von 322 Wahlbezirken. Nach den vorliegenden Zahlen liefern sich die beiden großen Parteien momentan ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Die CDU führt mit 38,5 Prozent, dicht gefolgt von der SPD mit 38,4 Prozent. Die Grünen kommen derzeit auf 8,6 Prozent der Stimmen, ebenso wie die Republikaner und die Freien Bürger. Die Freie Demokratische Partei hat momentan 3,9 Prozent, auf die PDS entfielen 2,4 Prozent. Die Tierschutzpartei liegt bei 0,4 und die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) bei 0,1 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Diese Ergebnisse sind Zwischenergebnisse vom Mittwoch (21. März), Weimar muss noch einmal neu ausgezählt werden.
20.03.2001 * (sap)
Die
Stadt Marburg
hat ein vorläufiges Endergebnis von Mittowch (21. März) bekanntgegeben. Damit aktualisiert
marburgnews
das
Trendergebnis von Sonntag.
Während die nach neuem
Wahlrecht
einzeln angekreuzten Stimmen ausgezählt wurden, konnten erste Prozentzahlen angegeben werden.
Die SPD erhielt 34,1 Prozent der Stimmen und verbesserte sich damit deutlich. Auch die CDU konnte ihr letztes Wahlergebnis steigern, auf sie entfielen 28,4 Prozent. Bündnis 90/Die Grünen sanken auf 16,2 Prozent, die PDS verbesserte sich leicht mit einem Ergebnis von 6,4 Prozent. Nach dem bisherigen Stand liegt die FDP bei 5,1 Prozent, Bürger für Marburg (BfM) bei 5,7 und die zum ersten Mal angetretene M-B-L (Marburger Bürger Liste) bekam 3,9 Prozent.
Bei 53.127 Wahlberechtigten lag die Wahlbeteiligung bei 52,5 Prozent. Hessenweit ist die Wahlbeteiligung um 13 Prozentpunkte auf 53,1 Prozent gesunken.
Die ersten
Trendergebnisse für den Kreistag
werden vom Wahlbüro des Landratsamtes noch aktualisiert und bald von
marburgnews
veröffentlicht
19.03.2001 * (sap)
Bevor der letzte Wahlbezirk Weidenhausen ausgezählt war, erhielt
marburgnews
bereits erste Trendergebnisse der Kommunalwahl in Marburg.
Für das Stadtparlament hat die SPD mit 34,8 Prozent um 5 Prozent zugelegt. Gewinne konnte auch die Marburger CDU verbuchen, sie verbesserte sich um zwei Prozentpunkte mit einem Ergebnis von 30,1 Prozent. Bündnis 90/Die Grünen verschlechterten sich um 5 Prozent, ihnen fielen 15,5 Prozent der Marburger Stimmen zu. Die PDS hielt sich mit 6,0 Prozent ungefär auf dem bisherigen Stand, verschlechterte sich zwar um 0,2 Prozent, erwartet aber, nach der Auszählung des Bezirks Weidenhausen das vorherige Wahlergebnis von 6,2 Prozent zu erreichen. Bürger für Marburg (BfM) schnitten mit 5,4 Prozent ab, die Marburger Bürger Liste (MBL), die erstmals zur Wahl angetreten war, bekam 3,5 Prozent.
Diese Ergebnisse enthalten noch nicht die Stimmen, die nach dem neuen
Wahlrecht
einzeln vergeben wurden, diese Stimmzettel werden noch ausgezählt, ebenso wie die vorliegenden Ergebnisse von Sonntag (22 Uhr) noch nicht die Stimmen des Wahlbezirks Weidenhausen beinhalten. Über die ersten
Trends für den Kreistag
und die Auswertung der Ergebnisse wird
marburgnews
im Laufe des morgigen Tages berichten.
Hessenweit verbesserte sich die CDU enorm, sie legte 6,6 Prozentpunkte zu und wurde in Hessen zu 39,6 Prozent gewählt. Die Stimmen für die Republikaner hingegen gingen um 4,1 Prozent auf 2,5 Prozent zurück. Die SPD verbesserte sich mit 0,2 Punkten nur leicht. Die Grünen mussten nicht nur in Marburg, sondern auch hessenweit Verluste verbuchen.
Die Wahlbeteiligung in Hessen ist deutlich zurückgegangen, 1996 gingen noch 66 % der Wahlberechtigten zur Wahlurne, am Sonntag (18. März) waren es nur 54 %.
17.03.2001 * (lcm)
Die Bürgerliste für Marburg (BfM) gibt es seit 1989 und Karl-Heinz Gimbel ist von Anfang an dabei. Damals war es besonders die missliche Lage der Verkehrspolitik, welche die Bürger dazu bewegte aktiv zu werden - auch heute noch ein wichtiges Thema für sie. Die Auswirkungen auf das Gewerbe und den Handel sind den BfM in diesem Zusammenhang besonders wichtig.
Für Gimbel ist das vordringlichste Problem in Marburg die große Schuldenlast des Kreises. "Bei den Ausgaben, die der Kreis zur Zeit hat, sind vernünftige Investitionen nicht machbar," erklärt er. Karl-Heinz Gimbel kandidiert auf dem 5. Listenplatz seiner Partei für den Kreistag und möchte durch gezielten Personalabbau in der Administration den Schuldenberg des Kreises verkleinern. Das Geld würde er in die Infrastruktur und zur Gebäudeerhaltung und -planung investieren, um dadurch Marburg als Handelsstandort attraktiver zu machen.
Der jetzt 60-jährige war in seinem Berufsleben Lehrer und Stellvertretender Direktor der Richtsberg-Gesamtschule . Kreistagsabgeordneter ist er seit 1997 und engagiert in den Bereichen Bauplanung und Schulpolitik. Seine Freizeit widmet er dem Sport; früher als Leichathletiktrainer, seiner liebsten Sportart, sowie Tennis Volleyball und Bergwandern. Der in Marburg geborene Gimbel hat auch ein Fabel für lokale Geschichte. Für seine Partei erhofft er sich eine Steigerung von jetzt 5 Vertretern im Kreistag auf insgesamt 7. "Und die Chancen stehen gut" stellt er fest.
17.03.2001 * (lcm)
"Bürgerwille statt Parteiengeklüngel" ist der Satz, den sich Heinz Ludwig auf die Fahnen geschrieben hat. Der Notar und Spitzenkandidat der Marburger Bürgerliste spricht aus eigener Erfahrung. Seit 16 Jahren ist er im Parlament und politisch engagiert - in der CDU, deren Fraktionsvorsitzender er noch bis vor einem Jahr gewesen ist.
Die Einblicke in die Parlamentsarbeit, die er durch die Jahre gewonnen hat, bewog ihn schließlich dazu, die Bürgerliste ins Leben zu rufen. "Ging es in der Fraktionssitzung damals um Themen, die sinnvoll für Marburg waren, kam immer zuerst die Frage: Ist das für die Partei gut", resümiert er. "War es gegen die Richtlinien der Partei, wurde es auch nicht gemacht". Er gibt ein Beispiel: "Als überlegt wurde für die Richtsberg-Gesamtschule ein 13. Klasse einzuführen, was notwendig gewesen wäre, hieß es: Die CDU ist gegen Gesamtschule - geht nicht" Dieser Zustand ist für ihn untragbar. Sein Ziel für Marburg ist deshalb zu allererst, die Politik transparenter zu machen und den Bürgerwillen und nicht die Parteiinteressen zu vertreten. Am liebsten würde er deshalb Fraktionssitzungen öffentlich machen, um so die "Geheimniskrämerei" zu unterbinden, die um manche politische Entscheidung gemacht wird. Den Bürgerwillen meint er daran zu erkennen, welche Wahlversprechen den meisten anklang finden und sieht sich darum in der Pflicht, diese auch umzusetzten.
Die Verkehrspolitik ist das große Thema in der Bürgerliste und ihr Ziel ist, die Infrastruktur zu verbessern und die Chancen für Gewerbe und Handel zu erhöhen. Ludwig ist bis heute CDU-Mitglied, obwohl er weiß, dass die CDU sich gerne seiner entledigen würde. "Das sehe ich nicht ein, denn ich habe nichts Verbotenes getan", stellt er fest. Für seine Liste erhofft er sich ein Ergebnis von 10+X Mandaten.
14.03.2001 * (sfb)
Sie hat Auschwitz und den Todesmarsch überlebt sowie die Zeit danach: die des Vergessens. Betretenes Schweigen herrschte am Dienstagabend (13. März) im
Kulturladen KFZ, als Anna Mettbach von ihrer Jugend im Konzentrationslager Auschwitz berichtete. "Wer wird die nächste sein?", lautete der Titel der Veranstaltung, zu der das Marburger Bündnis gegen die IG Farben eingeladen hatte.
Sichtlich bewegt, schilderte Anna Mettbach brutale Szenen aus dem Lager Auschwitz, in das sie am 1. August 1944 eingeliefert wurde. Dort musste die damals jugendliche Sintezza mit ansehen, wie Häftlinge systematisch zu Tieren degradiert und ihrer Menschenwürde beraubt wurden. Die Deutschen seien die einzigen auf der Welt, die wüssten, wie man mit Tieren oder Wesen, die man dafür hielt, umgehen müsse , zitierte sie einen programmatischen Satz Heinrich Himmlers.
So war es dann auch: Die Tränen mühsam zurückhaltend, erzählte sie, wie sie in einem Viehwaggon von Polen nach Auschwitz transportiert wurde. Wie ein Tier wurde sie ausgeladen, um dann wie auf dem Markt abgeschätzt und anschließend kahl geschoren zu werden. Hausen mußte sie in einem ehemaligen Pferdestall, wo kein Bettzeug, geschweige denn Stroh, lag. Da es keinen Fußboden gab, standen die Menschen bei Regen im Schlamm. Auf Medikamente gegen die am häufigsten auftretenden Krankheiten wie Thyphus, Fleckfieber und Krätze, hatten die Häftlinge keinen Anspruch; stattdessen schickte man sie ins Gas.
Unter schwersten Bedingungen mußte sie -unerträglichen Hunger und Durst leidend - das Zigeunerlager ausbauen. Demütigungen seitens der SS-Leute taten ihr übriges: So gab ein SS-Aufseher sich und seinem deutschen Schäferhund vor ihren Augen zu trinken, um damit zu demonstrieren, dass dieser Hund einen höheren Wert besitze als sie.
Schockierend waren auch Szenen, in denen SS-Leute zu ihrem Vergnügen und zur Demütigung der Häftlinge Treibjagden auf Menschen veranstalteten. Unter Schüssen mußte ein Häftling wie ein Hase nach seiner Mütze hüpfen. Als er sie dann hatte, wurde er durch einen Genickschuß hingerichtet.
Häftlingen, die wie Tiere behandelt wurden, standen SS-Leute gegenüber, die anscheinend zu Bestien mutiert waren. Sie verhielten sich wie ihre Schäferhunde, die hemmungslos darauf abgerichtet wurden, Menschen zu zerreißen; sie waren ohne Mitgefühl: brutal, eiskalt und primitiv.
Als besonders pervers hatte Anna Mettbach Josef Mengele in Erinnerung; er sei der Schlimmste von allen. Seine bestialischem Experimente an Babys, die ihren Müttern nach der Geburt entrissen wurden, spotten jeder Beschreibung. Das Max-Planck-Institut Berlin profitiert heute noch von seinen Forschungen und besitzt immer noch die von ihm angelegte Sammlung des anatomischen Grauens.
Nicht minder grausam war der Todesmarsch, der am 10. März 1945 in Auschwitz losging. Völlig entkräftet in Dachau angekommen, war Anna Mettbach außerstande, sich über die anschließende Befreiung durch die Alliierten zu freuen.
Trostlos war auch die Nachkriegszeit, in der sie erfahren mußte, dass die "Braunen" unter der Adenauer-Regierung immer noch in Amt und Würden standen: Als Ärzte, Bürgermeister, Lehrer, Juristen oder Politiker. Dass ihr bis heute eine Haftentschädigung verweigert wird, schmerzt sie ebenso wie die noch andauernden Verbrechen an ihrem Volk, den Sinti und Roma, - Verbrechen, die hartnäckig geleugnet und verschwiegen werden.
Trotz dieser Traumata sieht es die respektgebietende Frau als ihre Pflicht an, über ihre Leidensgeschichte zu berichten, um dem Vergessen zu begegnen. Ihr dringender Appell, den sie den Zuhörerinnen und Zuhörern auf den Weg gab, lautet: Man sollte die Menschen sehen, wie sie sind, und nicht, wie man sie sehen will. Man muß nicht jeden lieben, aber jeden - ungeachtet seiner Andersartigkeit- achten und würdigen, weil er ein Mensch ist.
13.03.2001 * (lcm)
"Soziale Gerechtigkeit" ist das Leitmotiv von Uli Rupp. Der 47-jährige Pädagoge kandidiert bei der Kommunalwahl am 18. März auf Platz 3 der PDS-Liste für den Kreistag. Unter "Sozialer Gerechtigkeit" versteht er vorallem eine Besserstellung der Sozialhilfeempfänger. Sein langfristiges Ziel ist eine Soziale Grundsicherung.
"Das setzt natürlich voraus, daß Arbeit neu definiert und umstrukturiert wird," erklärt Rupp." Ihn stellt sich die Frage ob eine Arbeit fr die Gesellschaft sinnvoll ist, zum Beispiel im Hinblick auf den Naturschutz
Obgleich solche Ideen etwas über Rupps politische Haltung aussagen, haben sie nicht unmittelbar mit den Problemen in Marburg zu tun. Die Ziele die Uli Rupp hier verwirklicht sehen will, sind etwas bescheidener. Seiner Ansicht nach gibt es zwei große Probleme in Marburg:
Die Arbeitslosigkeit und die Verschuldung der Stadt.
"Die Hälfte des Kreishaushaltes geht für Sozial- und Jugendhilfe drauf, da bleibt nicht mehr viel Gestaltungsspielraum," bedauert er. Hier sieht er auch den Bund viel stärker in der Pflicht.
Die geringen Mittel möchte Rupp nutzen um präventiv tätig zu werden und vor allem Sozialinitiativen, Jugendgruppen und die Integration von Ausländern zu unterstützen.
Er wünscht sich Ganztagsschulen und bertreute Kindergärten um die Frauen zu entlasten, die seiner Meinung nach, oft die großen Verlierer sind.
Vom neuen Wahlrecht wird die PDS sicherlich profitieren da ihr der Wegfall der 5 % Hürde zu Gute kommen wird. "Ein Top-Ergebnis wären 3 Kreistagsabgeordnete!" hofft Rupp. Von den neuen Möglichkeiten zu kumulieren und zu panaschieren, hält er nichts. Für ihn bedeutet das nur scheinbar mehr Demokratie.
Demokratie beginnt für ihn mit eigenem Einsatz.
Marburg ist für den gebürtigen Hülser- heute ein Stadtteil von Krefeld- seit fast 30 Jahren zur zweiten Heimat geworden. Das politische Klima als "linke Hochburg" hat ihn in seiner Studienzeit hierhegezogen und nicht mehr losgelassen. An der
Phillips-Universität
hat Rupp Russisch und Sozialkunde auf Lehramt studiert, den Beruf aber nie ausgeübt.
Aufgrund der hohen Lehrerarbeitslosigkeit war er lange Zeit arbeitslos. Wenn Uli Rupp sich für Sozialbenachteiligte einsetzt, weiß er wovon er spricht.
Heute quillt sein Arbeitszimmer über von Büchern, Aktenordnern und turmhohen Papierstapeln. Er ist Mitglied im Kreisvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), im Landesangestelltenausschuß der GEW und im Vorstand des DGB Ortskartell Marburg. Da muß man wohl informiert bleiben.
Uli besitzt 35 Humphrey Bogart Videos: "Casablanca ist ein so wunderschöner Film, ich werde immer ganz melancholisch wenn ich ihn sehe". Aber ein melancholischer Typ ist Uli Rupp ganz und gar nicht. Er ist engagiert und aktiv und hat Humor. Seine zweite große Leidenschaft drückt das schon eher aus. Samstag Nachts schwingt Uli das Tanzbein. Am liebsten Rock`n`Roll oder Jive.
Seinen Drive hat er auch nach 10 Jahren Gewerkschaftsarbeit nicht verloren. Doch er hat erkannt, daß die Entscheidungen letztlich im Parlament getroffen werden. Das war für Rupp das Hauptmotiv, in die Politik zu gehen. Als ehemals überzeugtes DKP- Mitglied verließ er die "Partei" Anfang der 80er, da er mit ihrer Haltung zur Atomkraft nicht einverstanden war. Er sieht die PDS nicht als Erbin der DKP, rechnet sich mit ihr die besten Chancen aus, um seine Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen. "Sicherlich" -gibt er zu- "ist die PDS eine Massenpartei und muß Kompromisse eingehen, aber sie verliert dabei nicht ihr sozialistisches Profil."
09.03.2001 * (lcm)
Die hessische CDU-Spendenaffäre hat immer größere Auswirkungen auf die Kommunalpolitik im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Der Stadtvorstand von Bündnis90/Die Grünen forderte Oberbürgermeister
Dietrich Möller(CDU)
am 6. März in einem Offenen Brief auf, die Finanzquellen von CDU-Aktivitäten offenzulegen. Der damalige CDU-Landtagsabgeordnete und jetzige Marburger Oberbürgermeister hatte während des Landtagswahlkampfs 1987 eine -durch schwarze Spendengelder finanzierte - Busfahrt mit den CDU-Politikern Walter Troeltsch, Walter Wallmann und Pressevertretern durch das Kreisgebiet organisiert . Schwarzgeld soll vor 13 Jahren auch von der in Stadtallendorf ansässigen Schokoladenfabrick Ferrero an die CDU geflossen sein. Im Gegenzug hat der Süßwarenkonzern eine erkleckliche Gewerbesteuerentlastung von der CDU-regierten Gemeinde erhalten.
Bündnis 90/Die Grünen verlangen nun nicht nur die Klärung der Busfahrtfinanzierung, sondern auch lückenlose Informationen über die Finanzierung der letzten zwei Oberbürgermeister-Wahlkämpfe. Nur so könne Möller jeden Zweifel an der Integrität seiner Person entkräften.
07.03.2001 * (lcm)
Wenn man hört, dass es eine Ausstellung "Kindheit im Asyl" geben wird, assoziiert man damit Schlagwörter wie: "Kindheit in der Fremde" oder "Kulturkonflikte". "Alles schon mal gehört", mag man weiter denken, aber dieses Projekt bietet mehr.
Das Leben fern den kulturellen Wurzeln ist nur ein Teilaspekt der Ausstellung, die der Fotojournalist Andreas Bohnenstengel am Sonntag (18. März) in Marburg präsentieren wird. Am Mittwoch (7. März) wurde die Ausstellung bei einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt.
Bohnenstengel verbrachte drei Monate in einem Asylbewerberheim in München und hat seine Eindrücke auf 40 Schwarzweißfotografien festgehalten.
Die Bilder zeigen zum großen Teil Kinder in ihrem alltäglichen Leben im Asylbewerberheim. Das Interessante an den Fotos ist der Ausdruck der Gesichter: Sie weinen, sie lachen, und das alles in einer Umgebung die öde und trostlos ist: Ein Kinderleben in langen kahlen Fluren und dreckigen Hinterhöfen.
Die Problematik einer Kindheit in einer solch kinderfeindlichen Umgebung hat weitreichende Konsequenzen. Erfahrungen , die Kindern widerfahren, bilden ihren Charakter und ihre Wertvorstellungen.
Das Dokumentations- und Informationszentrum für Rassismusforschung (DIR) hat die Ausstellung nach Marburg geholt und mit Diana Schulz eine engagierte Frau in ihrer Mitte, die die Organisation zusammen mit Jürgen Korinth,ebenfalls vom DIR, übernommen hat. Sie hat dafür gesorgt, dass auch andere Organisationen sich dem Projekt angeschlossen haben, um es ideell und finanziell zu unterstützen.
"Den Ausländern gehts zu gut." Solche Phrasen hört man immer wieder. Bohnenstengels Fotos dokumentieren eine andere Wirklichkeit. Das Leben in der Warteschleife ist kein schönes.
Doch wer soll das ändern? Asylbewerber haben keine Stimme. Das ist der Anknüpfungspunkt für die Organisationen und Verbände, die sich dem Projekt angeschlossen haben. Sie wollen eine Öffentlichkeit schaffen und dadurch versuchen, etwas zu Verändern.
Die Vielzahl der Unterstützer beleuchtet das Thema von verschiedene Seiten und wirft so ganz unterschiedliche Probleme auf. Elke Krause von Amnesty International sieht die Menschenrechte der Kinder verletzt. Sie setzt sich im Hinblick auf die Kinderrechtskonvention für die kleinen Flüchtlinge ein. Renate Oberlik vom Kinderschutzbund hält die Situation der Flüchtlingskinder für schwerwiegend. Sie befürchtet mögliche Verhaltensstörungen und eine Schädigung des Selbstbewußtseins der Kinder. "Das Asylbewerberheim in München steht für die meisten hier in Deutschland."
Oberlik erinnert daran, dass die Problematik "Kindheit und Asyl " auch in Marburg zu finden ist. Zur Zeit leben im Kreis 704 minderjährige Flüchtlinge
Die fehlende Intimsspähre, das Gefühl unerwünscht zu se in und die alltäglichen Anfeindungen in Kindergarten und Schule erschweren das Kinderleben enorm, meint Christa Künzel vom Hessischen Flüchtlingsrat, der die mangelnden Hilfsmöglichkeiten beklagt. Die Fotos wurden im Jahre 1993 gemacht, "8 Jahre sind sie alt und immer noch brandaktuell", Rainer Stolzenberg, DGB, wies darauf hin, dass er sich von der Ausstellung eine Öffentlichkeit erwartet die auch vorhandenen Strukturen für Flüchtlingshilfe in Marburg bekannter macht.
Die evangelische Dekanin Helga Bundesmann-Lotz erinnerte an die "Woche der Brüderlichkeit" die seit Montag bundesweit unter dem Motto "Er ist wie Du" steht. Sie erhofft sich einen menschlicheres Miteinander. In den Räumen der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien wird die Ausstellung am Sonntag (18. März) eröffnet und kann dort bis Sonntag (1.April) besucht werden. Zur Eröffnung um 11.30 Uhr kommt
neben Bürgermeister Egon Vaupel auch der Pro-Assyl- Sprecher Heiko Kauffmann, der eine Rede zur Kampagne "Alle Kinder haben Rechte" halten wird.
03.03.2001 * (sap)
Sind sie im letzten Jahr mit dem Flugzeug geflogen? Haben sie 2000 eine Getränkedose gekauft? Kaufen sie Transfair-Produkte?
Mit kurzen Fragen, die klare Antworten verlangen, begann am Freitag (2. März) die "Öko-Wahl-Show" von
BUND
für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Naturschutzbund Deutschland NABU im Kulturladen KFZ. Gleich einer Quizshow wurden das Podium nicht Schauplatz von langen Eingangsvorträgen, sondern einem Frage- und Antwortspiel nach bewußtem Umgang mit Energie, Abfall und Themen rund um den Umweltschutz.
Dr. Henning Smolka vom BUND versuchte sich als Showmaster, der diesen ungewöhnlichen politischen Abend lässig und souverän moderierte. Der Chor "Politöne" - mit Liedern über Marburgs Vercenterung oder die nicht eingehaltene Verfassung - regte zum Nachdenken an und unterstrich das Ambiente einer abendlichen "Show". Die lockere Atmosphäre konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Marburg mitten im Kommunlawahlkampf steckt - alle versuchten zu überzeugen, dass ihre Partei sich besonders für ökologische Ziele stark macht. Dies wirkte nicht immer glaubhaft - so erntete Anne Oppermann von der CDU nur ein schmunzeln, als sie versicherte, sie sei Mitglied in einem Naturschutzbund - nämlich der CDU.
Nach der ersten "schnellen Runde" folgte die "gelbe Runde". Die Parteienvertreter zogen die vorformulierten Fragen losähnlich per Zufallsverfahren. Es ging bei dieser Runde aber um mehr als Glück: Polit-Strategie wurde verlangt, denn jede Person konnte sich für die an sie gestellte Frage im Podium zwei Mitbeantwortende aussuchen, die zu diesem Punkt ausserdem Stellung nehmen. Je nachdem, ob man sich Bestätigung der eigenen Position oder eine Gegenmeinung einholen wollte, taktierten die mit Fragen gelöchterten PolitikerInnen mit Parteien, Tendenzen und Meinungen.
Dass Tempo 80 auf der Stadtautobahn durchzusetzen sei, betonte Dr. Ralf Musket von der SPD ebenso wie sein Mitstreiter in dieser Frage - Thomas Schneider von Bündnis 90/ Die Grünen. Man habe versucht, dies in der Stadtverordnetenversammlung durchzusetzen, sei jedoch am Einspruch des Oberbürgermeisters Dietrich Möller gescheitert. Anke Richter von der PDS bekräftigte zwar die Forderung nach Tempo 80, beklagte aber, dass trotz eindeutigen Mehrheitwillens nicht versucht werde, juristisch gegen das Veto des CDU Bürgermeisters vorzugehen. Über Fragen nach ökologischem Landbau - Herbert Zaun von Bürger für Marburg (BfM) sprach sich hier für flächenbezogene Viehbestandszahlen aus -, Parkplätzen für LehrerInnen oder dem Ausbau des Frankfurter Flughafens konnte man sich ein Bild von Meinung und Gegenmeinung, vor allem aber von Reibungspunkten der Parteien in der vergangenen Legislaturperiode machen.
Was als schnelle Quizrunde begann, wurde dann doch mehr und mehr zur Profilierungsshow der Parteien.
Die ebenfalls per Zufall ausgelosten Publikumsfragen wurden lediglich von einer Person beantwortet. Da wurde dann auch viel um den vielzitierten heißen Brei herumgeredet, so zum Beispiel, als Rainer Sauer von der Marburger Bürger Liste nach seiner Haltung zu Castor Transporten und Blockaden gefragt wurde. Thomas Schneider von den Grünen signalisierte klare Bereitschaft, gegen den Castor zu demonstrieren, auch wenn er "die Notwendigkeit des Herrn Trittin" nachvollziehen könne.
Doch ging es dem Publikum vor allem um Marburger Themen, so dass einige Einzelpositionen zum Für- und Wider des Marbachtunnels, der Lahnaue, Radwegen und mehr deutlich wurden. Der Nachteil dieser unkonventionellen Form eines politische Abends war, dass nicht zu einem Thema die Meinung aller Parteien zur Sprache kam. So war Wilfried Wüst (FDP) als nicht-Mitglied der Stadtverordnetenversammlung mit Einzelheiten zum Marburger ÖPNV und anderen Kommunalentscheidungen nicht vertraut. Hätte es von allen kurze und klare Antoworten gegeben, hättten die einzelnen Positionen trennschärfer entgegengestellt werden können. Für einige läßt sich zusammenfassend sagen: weniger wäre mehr gewesen.
02.03.2001 * (FJH)
"Es ist wichtig, den Standpunkt seines Gegenüber zu kennen, auch wenn man ihn nicht teilt", erklärte Ernst-Ludwig Wagner am Donnerstag (1. März). Unterschiedliche Standpunkte konnte der wirtschaftsspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion vor allem zum Betriebsverfassungsgesetz feststellen, das die rot-grüne Bundesegierung ändern möchte. Es war einer der Streitpunkte auf der Diskussionsveranstaltung "Neue Mittelstandspolitik" mit Dietmar Staffelt, dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er stellte sich im Waldecker Hof den Fragen von Vertretern der Marburger Wirtschaft.
Sein Vortrag begann mit einem Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft, dem dann Erläuterungen zu verschiedenen Feldern der rot-grünen Wirtschaftspolitik folgten. Als besondere Leistung seiner Regierung hob Staffel die Steuerreform hervor, die auch von den anwesenden Wirtschaftsvertretern positiv gewürdigt wurde. Sie kritisierten allerdings die - ihrer Meinung nach hohe - Steuerlast, die unternehmerische Initiativen bremse.
Breiten Raum nahm die Debatte um Abschreibungstabellen ein. Die Zeiträume für Abschreibungen waren nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs, der deren Anpassung an die tatsächliche Nutzungsdauer der abzuschreibenden Güter gefordert hat, verlängert worden. Tatsächlich würden die meisten Güter aber viel kürzer genutzt als in den Tabellen der Finanzverwaltung angegeben, klagten die Vertreter der Industrie- und Handelskammer (IHK) Kassel und mehrere Marburger Unternehmer. 6 Jahre für Autos und 4 Jahre für Computer seien einfach zu lang.
_Dem pflichtete Staffelt bei, der sich hier aber nicht gegen den Finanzminister hatte durchsetzen können. Von einer Verkürzung der Abschreibungsfristen erwartet er sich zusätzliche Impulse für die Wirtschaft, da die Güter dann schneller durch Neue ersetzt werden.
Keine Patentrezepte wussten die Anwesenden auf die Frage, wie die Qualität der Ausbildung von Jugendlichen nachhaltig gesichert werden kann. Ein Fleischermeistr beklagte die mangelnden Rechtschreib- udn Rechenkenntnisse von Bewerbern um Lehrstellen, denen er die Herstellung qualitativ hochwertiger Lebensmittel nicht zutraut. Staffelt berichtetet aus seinem Wahlkreis in Berlin-Neuköln, wo das Problem nichtdeutscher Herkunft die Situation in der Schule zusätzlich erschwert. Die Schulbildung - gerade auch in der Hauptschule - sei aber eine wichtige Voraussetzung für die Wirtschaft von morgen. Hier - so waren sich die Anwesenden einig - müssten alle an einem Strang ziehen.
In anderen Bereichen lobte Staffelt die Politik seiner Partei und der Berliner Regierung: "Wir haben die Privatisierungspolitik unserer Vorgängerregierung fortgesetzt", freute sich der Sozialdemokrat. Den "Stillstand der letzten Jahre" habe Rot-Grün in Berlin überwunden.
Die nun anstehende Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes begründete Staffelt mit der Notwendigkeit einer Anpassung an die geänderte wirtschaftliche Wirklichkeit. Insgesamt habe sich das 29 Jahre alte Gesetz bewährt. "Wenn es sich bewährt hat, warum ändern sie es dann?", fragte ein Vertreter des heimischen Handwerks. Er befürchtet eine größere finanzielle Belastung des Mittelstands durc das neue Gesetz.
Der Entwurf sieht eine Absenkung der Schlüsselzahlen vor, die einer Freistellung von Betriebsräten zugrunde gelegt werden. Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten müssen demnach einen Betriebsrat freistellen, ab 500 Beschäftigte gibt es zwei Freistellungen, ab 900 die dritte. Außerdem will das neue Gesetz die Wahlverfahren zu Betriebsräten vereinfachen.
Das bisherige Betriebsverfassungsgesetz sei gut gewesen, beteuerten alle Anwesenden; durch die Änderung aber fühlensich die Unternehmen zu stark belastet. Der Eigentümer eines großen Marburger Metallbetriebs witterte gar ein Verankerung des "Tarifkartells", der seiner Ansicht nach unbeweglichen IG Metall, in seinem Unternehmen.
Ernst-Ludwig Wagner erinnerte das an das Jahr 1972, als das Betriebsverfassungsgesetz erlassen wurde: "Damals haben die Unternehmer mit Hinweis auf die damit verbundenen Belastungen den Untergang des Abendlandes prophezeit, aber das Abendland ist nicht untergegangen".
23.02.2001 *
BSE: Bauern sind empört, Bürger seufzen entnervt
Politik
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